Sant – der Meister

Diverse Schriften Nr. 15

 

 

 

Manch einer fragt sich vielleicht; "Welche Art von Mensch sind diese Sants, über die man schon so viel gehört hat, und was unterscheidet sie von den allgemein bekannten Graden von Meistern, Sanyasins, Rishis, Munis, Tikishwars, Yogishwars, früheren Meistern, Gründern und Führern der Religionen usw.?"

Zweifellos ist ein Sant (oder Sadhu) seiner ganzen äußeren Erscheinung nach ein Mensch wie jeder andere. Und doch ist er viel mehr: er ist ein "vollendeter Mensch" und hat Erfahrung vom äußeren und inneren Leben. Das äußere Leben mag in den verschiedenen Ländern anders sein; aber die inneren Erfahrungen sind immer gleich, wo man sie auch erlangt, obwohl sie verschiedene Stufen schildern, die dem Grad des inneren Zugangs entsprechen. Sie sind soweit nicht zu verneinen, aber eine direkte und umfassende Kenntnis dieser Stufen vermögen uns nur die Sants zu geben, die uns mit der Theorie auch eine Erfahrung bieten. Was braucht der Mensch mehr?

Umfangreiche Bücher, die von den Erfahrungen der Sants in dieser "Wissenschaft der Natur" berichten, sind voll ihres Lobes. Dennoch ist es schwer, mehr über einen Sant zu erfahren, selbst wenn er dein nächster Nachbar ist oder dir täglich auf derselben Straße begegnet.

Die Geschichte berichtet, daß einmal ein russischer Zar, der vom Schicksal bestimmter Menschen seines Landes ergriffen war, die als Schiffsbauer an einer weitentfernten Küste arbeiteten, in Verkleidung zu ihnen ging, einige Jahre mit ihnen arbeitete und sie schließlich überredete, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Aber die Arbeiter entgegneten, daß sie aus ihrem Land ausgewiesen seien und es für sie keine Hoffnung gäbe, wieder dorthin zurückkehren zu können. Der Zar versicherte ihnen, daß er mächtigen Einfluß auf den Hof und auch auf den Zaren selbst habe und sie nichts zu befürchten hätten. Jene, die ihm glaubten, willigten ein. mit ihm in die Heimat zurückzukehren. Auf dem Weg wurde das Vertrauen in ihren Mitarbeiter bestärkt, als der als Arbeiter verkleidete Zar von seinen Leuten herzlich begrüßt wurde. Zuletzt, als alle sahen, daß dieser vornehme Mitarbeiter kein anderer als der Zar selbst war, der vor ihren Augen auf dem Thron saß, atmeten sie erleichtert auf. Wie hätten sie ihn vorher erkennen oder ihm geglaubt haben können?

Der Unsichtbare Hohe Eine braucht einen sehr erlesenen menschlichen Pol, das heißt, einen Menschen, der sich durch seine ununterbrochenen, unermüdlichen und unaufhörlichen Bemühungen, durch unübertroffene Selbstaufopferung und unbegrenzte Liebe für IHN, während des Lebens mit IHM im Inneren verband und zu seinem bewußten Mitarbeiter wurde und für die Aufgabe gebraucht und bestimmt wurde, den gequälten Suchern nach Ihm Trost zu bringen, sie von den Plagen der Welt zu befreien und all jene mit IHM zu vereinen, die Sein Eigen sind.

Der Mensch braucht einen Menschen, der ihm etwas verständlich macht; und ein Sant ist somit der Hohe Eine in der Gestalt eines Menschen, dem sich jene, die nach IHM verlangen, nähern können. Der unsichtbare Allmächtige hat hier sein eigenes Gesetz. So ist ein Sant Gott plus Mensch. Er ist das Sprachrohr Gottes oder wenn man bereit ist, das anzunehmen, ist er Gott in menschlicher Form, der "verkörperte Gott". Er ist der heiligste "persönliche Gott" (1), mit aller Kraft und Macht ausgestattet; ein lebendiger Altar, zu dem der Mensch beten kann, um eine Lösung seiner Probleme von der Geburt bis zum Tod und danach zu finden, oder kurz, um sich aus dem Netzwerk all seiner Sorgen zu befreien und wahre Erlösung zu erlangen.

So bewegt sich Gott in der Verkleidung eines gewöhnlichen Menschen. Als Mensch, rein äußerlich gesehen, kann ihn niemand erkennen, ausgenommen einer, der sich gemäß dieser Wissenschaft, das heißt, gemäß den Gesetzen, die ER für den Menschen niedergelegt hat, mit einem Meister-Heiligen im Inneren verbinden kann. Wenn man einen Meister-Sant im Äußeren als einen gewöhnlichen Menschen betrachtet, kann man von ihm nicht mehr gewinnen als von irgendeinem anderen Menschen, der sich auf dieser Ebene befindet, auf der man ihn zu sehen glaubt. Betrachtet ihn einer als Übermensch, so ist sein Vorteil weit größer; und wenn er ihn als Alles-in-Allem (Gott und Mensch) sieht, hat er einen noch größeren Gewinn. Wenn sich einer mit dem Meister im Inneren verbindet, dann erlangt er alles. Das ist keine Sache des "Denkbereichs" eines Menschen, denn das wäre blinder Glaube. Es hängt davon ab, in welchem Ausmaß man diese göttliche Wissenschaft versteht. Was vom Herzen kommt - das geht zum Herzen.

Einmal wurde Hazoor Baba Sawan Singh Ji Maharaj folgende Frage gestellt: "Die Körper aller Menschen sind aus demselben Lehm gemacht (das heißt, aus Blut, Fleisch, Knochen usw.) mit welchen Vorzügen ist nun der physische Körper eines Sant ausgezeichnet, daß er dem eines jeden anderen Menschen überlegen ist?"

Und Hazoor entgegnete: "Zweifellos sind alle Körper aus Lehm zusammengesetzt, aber der Körper eines Sant ist aus den reinsten Partikeln gemacht, die im Universum verfügbar sind. Jedes Wort, jeder Blick, jede Bewegung, jede Berührung, selbst die Aura eines Sant ist von Gottes Gnade, Liebe und Barmherzigkeit erfüllt. Seine Umgebung ist besonders elektrisiert und die Atmosphäre um Ihn ist geladen. Je reiner das Herz eines Menschen ist, um so mehr erkennt und fühlt er diese Dinge. Auch jene, die ihm nur zuhören, akzeptieren und absorbieren das, was Er sagt; und sie gehen nicht leer aus - sie sind begünstigt.

Wenn ein Sant über die Erde geht, wird sie rein und geheiligt. Wenn er über Gras geht und beim Gehen irgendwelche Würmer und Insekten zertritt, bekommen diese unmittelbar darauf einen menschlichen Körper, ungeachtet der zyklischen Ordnung und der Stufenfolge der Evolution, die das Leben auf der Erde den Naturgesetzen entsprechend bestimmt. (2) Die Bäume, die das Obst tragen und jene Halme, auf denen das Getreide wächst, das den Heiligen zur Nahrung dient, erhalten auch direkt einen menschlichen Körper. Der Baum, dessen Holz seiner Zweige einem Heiligen als "datan" (Zahnbürste) dient, und die Kühe, von denen die Milch stammt, die ein Heiliger trinkt, erhalten ebenfalls in unmittelbarer Folge einen menschlichen Körper. Auch den Pferden, die ein Heiliger reitet, und den Ameisen oder Würmern, die von dem Wasser berührt werden, in dem sich ein Heiliger wäscht, oder einem fliegenden Vogel, der einen unbekleideten Körperteil eines Heiligen erblickt, wird dieser Segen zuteil."

Dem gewöhnlichen Menschen gilt das als Rätsel oder Scherz, und es fällt ihm schwer, diese Dinge zu glauben, weil der Verstand sein Prüfstein ist und er von der Kraft Gottes oder den Kräften oder Privilegien, die den Körpern der Sants innewohnen oder übertragen sind, nichts weiß, solange er nicht eine Erfahrung dieser erhabenen Wissenschaft erlangt, die von Gott selbst für den Menschen erdacht worden ist. Es ist wahr, das Gott für die äußeren Augen unsichtbar ist, aber ER hat den Menschen auf Erden nicht ganz verlassen, wenn diesem daran gelegen ist, IHM nahezukommen. Das Tor der Annäherung, der Ausgangspunkt allen Suchens und Forschens liegt im Inneren des Menschen - der Sant ist der Weg.

Wir müssen deshalb einen Weg einschlagen, der anders ist als der, auf dem wir früher Erfolg zu erringen versuchten. Aber stolz auf unser "Wissen" auf verschiedenen Gebieten, verirren wir uns - genau wie einer, der einen Krug untersucht, den man in den Ruinen eines weit entfernten Landes gefunden hat. Er beginnt nachzudenken und zu überlegen und konzentriert seine ganze Vorstellungskraft auf den Töpfer, der ihn vor langer Zeit geschaffen hat. In Gedanken entwirft er ein Bild von ihm, stellt sich ihn und seine Geräte vor und schreibt ein Buch nach dem anderen, versucht andere damit zu beeindrucken und zu beweisen, daß seine Entdeckungen wahr sind und Beifall verdienen. Oh weh, der Mensch ist weit entfernt vom rechten Weg.

Die Wahrheit ist einfach und noch einfacher ist die Sprache der Wahrheit, die die Sants sprechen, deren einfache und kurze, von Herzen kommenden Worte die aufs äußerste verwirrten und gequälten Seelen zufriedenstellen, beruhigen und trösten. Sie sprechen unwillkürlich und unbeeinflußt.

 

Ein Sant ist das Sprachrohr Gottes,
und Gott selbst spricht durch seine menschliche Kehle.

Maulana Rumi

 

Als Mensch unterwirft sich ein Sant stets Seinem Willen, was immer das Leben auch bringt. Ertragen und sich beherrschen ist das Glaubensbekenntnis der Sants. Sie sind wie ein Sandelholzbaum, in den die Axt des Holzfällers dringt; und dennoch verströmt der Baum weiter seinen Duft und gibt ihn selbst der Schneide der Axt, die ihn fällt.

In der Gemeinschaft eines Sant wird das erregte Gemüt still. Er tritt für das Gute im Menschen ein und übt sein Werk als Freund oder Bruder aus, wenn das Gemüt eines Menschen nicht bereit ist, Ihn als Führer anzuerkennen. Er hält sich zurück; doch durch seine bloße Zurückhaltung kommt Ruhm zu Ruhm und Glorie zu Glorie. (3)

Er schaut nicht darauf, was ein Mensch ist, welche Position einer innehat und welcher Richtung oder Rasse er angehört. Er sieht nur, daß der, der zu ihm gekommen ist, ein beseeltes menschliches Wesen ist - ein Mensch. Der Sant achtet genauso aufmerksam auf seine wertvolle Ware (d.h. auf die spirituelle Wissenschaft), wie ein Kaufmann, so daß einer, der sich selbst für sehr klug, weise, sehr gebildet oder als Vollbringer von Wundern hält, auch nicht eine Spur von dem erlangen kann, was Er hat, selbst wenn er es mit allen Kräften versucht. Der Sant liebt die Theisten wie die Atheisten oder selbst jene, die vom sinnlichen Vergnügen der Welt betäubt sind, genauso wie eine Mutter ihr Kind liebt und es nicht deshalb verstoßen wird, weil es gänzlich im Schmutz und Abschaum untergetaucht ist.

Man muß ein Sant sein, um einen Sant zu erkennen. Nur ein Sant kann einen Sant beschreiben. Seine Gegenwart in der Mitte irgendeiner Gemeinschaft oder Gruppe ist ihre kostbarste Zierde. Man kann ihn von einem Ort zum anderen gehen sehen, doch er geht nicht der Propaganda wegen oder aus selbstischen Motiven dorthin, sondern er wird durch starke, seidene Bande der Liebe angezogen, die in bestimmten Herzen wohnt. Er ist ein Führer, der uns zu moralischer Reinheit und Geistigkeit erhebt. Für einen Sant ist Gold nicht mehr als Eisen oder irgendein anderes Metall. Er wird nicht berührt durch Würdigung oder Schmach, Ehre oder Unehre, die ihm widerfahren, und auch nicht durch Freude oder Sorge, Lob oder Tadel bewegt. Herrschaft und Reichtum oder die Schönheit des anderen Geschlechts üben auf einen Sant keinen Reiz aus. Er steht hoch über der Beeinflussung durch Lust, Ärger, Habsucht, Verhaftetsein und Ichsucht. All das berührt ihn nicht.

Sants oder Sadhus (4) stehen über den drei Gunas. Sie sind selbstlos und offenbaren nur die Wahrheit. Sie sind "Kinder des Lichts" - Leitsterne der Welt. Man begegnet ihnen nur selten - den echten Sants. Gleich Ringkämpfern haben sie es nicht an einem Tag geschafft, noch haben sie eine akademische Schule besucht. Sie besitzen die Erfahrung mehrerer vergangener Leben. Jeder Heilige hat seine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft. Sie sind ein allgemeines Gut der Menschheit. Sie sind erfahrene Persönlichkeiten, die sich selbst erforscht und Gott verwirklicht haben und uns helfen können, denselben Pfad zu betreten. Was immer einer hat, das kann er auch anderen geben.

Wie kann ein gewöhnlicher Mensch wissen, daß ein Meister-Heiliger (Guru oder Satguru) täglich den Himmel besucht, die Verantwortung für das Karma seiner Schüler übernimmt, damit es unter seiner Fürsorge und Aufsicht abgewickelt und aufgelöst wird? Es sind Tausende von Schülern - wie kann der Meister all das bewältigen? Wir hören von diesen Dingen nur gelegentlich. Doch sitzt bei einem Heiligen, und ihr werdet Gemütsruhe, Stille und einen Seelenfrieden finden, den ihr niemals zuvor erfahren habt - und noch mehr als das. Das Gemüt jener, die auch nur den kleinsten Funken Gottesliebe in sich haben, erfährt ein Gefühl des Erwachens, wenn sie hören, daß es einen Meister gibt, der sie wirklich an die Schwelle des Jenseits führen kann.

Wenn wir zu einem Meister gehen, erwerben wir:

 

1.     Die wechselseitigen Beziehungen der Herzen.

2.     Die Fähigkeit, hinter den Augen still zu verweilen

3.     Die Verbindung mit dem "Göttlichen Bindeglied".

 

An Pilgerorten gewährten die Heiligen in früheren Tagen zumindest diese Gaben, welche die Schrittsteine direkt zur Spiritualität sind. Heute jedoch hat man diese Vorbedingungen zum Erreichen der "Göttlichen Wissenschaft" durch bloße Worte und Theorien ersetzt.

Die Lehren der Sants sind kurz folgende:

 

Der Mensch hat wertvolle Schätze der Gottheit in sich verborgen. Erwerbt das Wissen und die Erfahrung, welches die Meister so hoch und heilig macht und schließt das Tor, das euch den Zugang zu Gott gewährt, wahrhaftig auf - nicht intellektuell - gerade jetzt während eurer Lebenszeit. Reinheit des Herzens und eine einfache Bitte sind alles, was man braucht. Ihr habt für diese Wissenschaft der Natur nichts zu bezahlen.

 

Die Gemeinschaft der Sants suchen Menschen aller Charaktere auf, auch solche, die auf ihre Ideen stolz sind, seien sie gut oder schlecht. Sants brauchen aber keine Polizei, um jene fernzuhalten, die in den Augen der Öffentlichkeit "unerwünscht" sind; und das Seltsame ist, daß der Tadel eben dieser Menschen der einzige Torhüter ist, der sie automatisch fernhält.

Das Problem, dem sich der Mensch nun gegenübersieht, ist die Frage, wie er unter der vielen Meistern, denen er begegnet, von denen er hört oder liest, einen wahren Meister erkennen und herausfinden kann. Denn wir sind gewohnt, nur das Äußere zu sehen.

Es gibt kaum irgendwelche allgemeingültigen oder alltäglichen Kennzeichen an der Person eines Sant. Dennoch brauchen wir einige Anhaltspunkte - ein paar Hinweise. Wir mögen anführen, "daß man jene als Rishis und Munis bezeichnet, die Wissen von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besitzen, und die Yogis darüber hinaus übernatürliche Kräfte haben, die sie zeigen und dadurch die Menschen anziehen können; von den Göttern wird gesagt, daß sie keinen Schatten werfen; da muß doch zumindest irgend etwas über wahre Sants oder Sadhus gesagt werden können, sei es heute oder in alter Zeit?" Die Antwort ist, daß es für den gewöhnlichen Menschen kaum irgendwelche Kennzeichen gibt, daß einer ein Sant ist. Jenen, die auf dem Weg der Gottesliebe ein wenig fortgeschritten sind und auch jenen, die genaue Beobachter -sind, kann man ein paar Hinweise und Anhaltspunkte geben. Es ist jedoch viel Geduld nötig, um sie bestätigt zu bekommen:

 

1.    Sants sagen, daß Gott im Menschen ist. (Doch da dies heute überall betont und wiederholt wird, ist es kein überzeugender Hinweis für den modernen Menschen.)

2.     Augen und Stirne eines wahren Meisters bilden einen seltsamen Kontrast und haben doch auffallende Ähnlichkeit mit denen eines anderen wahren Meisters. (Das können nur jene ganz wenigen erkennen, die während des Lebens von zwei solchen Meistern gelebt haben und jene Kennzeichen oder Merkmale in ihrem Gesicht genau beobachtet haben. Es ist in der Tat dieselbe gütige Kraft, die durch zwei verschiedene menschliche Körper nacheinander oder selbst gleichzeitig wirkt, was auch gelegentlich geschieht.)

3.     Sants machen nach Belieben drei senkrechte Adern auf ihrer Stirn sichtbar oder lassen sie wieder verschwinden. (5) (Dieses bemerkenswerte Zeichen, durch das man einen Sant erkennen kann, wird von den Alten erwähnt und ist von den meisten nicht wahrzunehmen, bis sie davon wissen und es bestätig haben wollen.)

4.     Wenn man in der Gegenwart eines wirklichen Sant sitzt, beginnen sich die Sinnesströme im Körper selbst bei geöffneten Augen zu sammeln und unwillkürlich und unbewußt hochzusteigen, bis man es deutlich empfindet. (5) (Diese Erfahrung wird von den Sants nur sehr wenigen Auserwählten gegeben. Alte Wahrheitssucher, die mit diesem "Test des Selbst" vertraut waren, haben dies bestätigt.)

5.     Aufrichtigen Aspiranten wird bei der aller ersten Meditation zur Zeit der Initiation eine Erfahrung des Zurückziehens der Sinnesströme gegeben. (Das kann jeder erfahren, der in die schützende Obhut des Meisters gelangt -es mag ein neuer oder ein alter Schüler sein, der zu Ihm kommt, um irgendeinen Fehler, unter dem er leidet, zu erkennen und zu berichtigen. Diese Erfahrung ist auch jenen zugänglich, die die Instruktionen von einem erhalten haben, der sich selbst zum Meister ernannt hat und an den sie glaubten, aber von dem sie keine Erfahrung bekommen hatten.)

 

Es ist eine Tatsache, daß keiner einen wahren Meister erkennen oder finden kann, wenn nicht der Meister selbst bereit ist, einem, der danach verlangt, zu dessen innersten Befriedigung seine Identität zu offenbaren, um seinen Glauben in den Meister zu festigen. Dies geschieht gemäß dem Umfang seiner Empfänglichkeit und nach dem Maß, zu dem ihn seine Fähigkeit, des Verstehens und der Liebe berechtigen. Doch das hängt völlig von der Güte und Barmherzigkeit Gottes ab, der durch den Meister wirkt. Manche erhalten Hinweise gemäß ihres Verlangens. Bei manchen wird der Glaube an ihren Meister bestärkt, wenn ein Schüler auf wunderbare Weise aus einer Gefahr errettet wird. Die positive Antwort auf ein Gebet, daß an den Meister gerichtet wurde, festigt wiederum den Glauben in anderen. Dann gibt es noch welche, die Buchwissen haben und durch das Beispiel anderer befriedigt sind und auf diese Weise in ihrem Glauben bestärkt werden. Die Meister haben die Fähigkeit, den Umfang und das Fassungsvermögen des Verstandes eines jeden abzuwägen und den entsprechenden Glauben zu gewähren. Die Sants kennen den Verdienst und die Sünden eines jeden, doch sie enthüllen diese Dinge niemals.

Die göttliche Gnade ist niemals langsam. Eine gute Mutter fragt nicht erst: "Willst Du?", sondern sie gibt. Von den Aspiranten wird denen der "Löwenanteil" am göttlichen Glauben an den Meister gegeben, die mit gesenktem Haupt und schwerem Herzen kommen, mit dem angstvollen Schaudern der verlorenen Seele; die stumm sind aus Furcht, sich ihrer Sorgen zu entledigen. Sanftmut ist keine Schwäche! Sie bildet eine starke, festgebaute Straße der Demut, die zur "gütigen Realität" führt.

Erfahrung ist der einzige Prüfstein. Wenn ein Meister in der Lage ist, uns eine Erfahrung zu geben» können wir ihn als einen anerkennen, der die Göttliche Wissenschaft beherrscht. Denn nur einer, der mit der Gotteskraft verbunden ist, kann auch uns diese Verbindung geben.

Wenn einer selbst erst in die erste oder zweite Klasse geht und ein anderer sein ganzes Leben bei ihm sitzt, wird er dadurch nie einen hohen Bildungsgrad erreichen.

Wir zögern und fürchten, uns einem Meister-Heiligen zu nähern, weil unsere Lebensweise beschmutzt ist, da mehr und dort weniger. Fürchte dich niemals, zu einem Meister-Heiligen zu gehen, weil du ein Sünder bist. Er ist mehr für die Sünder bestimmt als für alle anderen. Er hat ein Heilmittel für jede Wunde. Geh zu ihm, und es wird sich ein Weg finden, von der Sünde frei zu werden. Wer weit weg ist, kann sich mit ihm schriftlich in Verbindung setzen. Er hat Mittel und Wege, in jedem Fall die rechte Lösung zu finden. Er ist kompetent.

Man wird nun leicht erkennen, daß Para-Vidya eine wissenschaftliche Grundlage besitzt, obwohl es sich von den üblichen Systemen ein wenig unterscheidet. Es ist kein dogmatisches, philosophisches System, das auf intellektueller Gewandtheit beruht. Noch viel weniger ist es ein neuer Kodex sozialen Verhaltens, das nur die grundlegenden Stufen bildet. Es ist kein blinder Glaube, sondern eine wohlgeordnete, klare und praktisch anwendbare Wissenschaft, die sich mit der Selbstanalyse befaßt, das heißt mit dem Wissen vom Selbst im Menschen, das einem genauen Beobachter zugänglich ist. Alle Vollmacht liegt natürlich in den Händen des erfahrenen Meisters und Heiligen.

Wenn sich ein Mensch in einer Menschenmenge befindet, wird er so sprechen, wie es die Menge tut. Gesellt er sich einer anderen Menge Volkes zu, wird er gleichfalls so wie sie sprechen und so fort. Wenn er aber seinen Standort auf einem hohen Berg einnimmt, kann er alles sehen und hören und die Taten der Menschen besser beurteilen. Ein Sant ist einem solchen Menschen gleich. Er schaut von der Höhe auf die Welt herab. Er spricht von der Lage des Menschen, der um sein Dasein kämpft und behauptet, alles zu wissen, obwohl er in Wirklichkeit doch wenig weiß. Er weiß nicht, wie er leben, was er tun und was er essen soll, wonach er sich im Leben richten oder warum er leben soll. Um seinen körperlichen Beschwerden zu begegnen, hängt er vom Arzt ab. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist er auf seinen Arbeitgeber angewiesen, und der Arbeitgeber umgekehrt auf seinen Untergebenen. Bei allen weltlichen Dingen muß er auf die Unterweisungen der Gesellschaft vertrauen; wenn er sich unvorhergesehenen Gefahren gegenübersieht und von Leid bedrängt wird und keinen Trost mehr findet, verläßt er sich auf die Worte des Priesters, bis er letztlich erkennt, daß ihm nicht anderes bleibt, als sich der Natur und ihren Gesetzen unterzuordnen. Vergebens setzt er sein Vertrauen in die Stärke seines Körpers und die Stabilität der Zukunft und bahnt sich gleichzeitig den Weg, indem er andere unbesonnen die Leiter hinabstößt. Er weiß nicht, daß er in einem fließenden Strom stillstehen kann, aber nicht in der Menschen Welt.

Die Sants haben Mitleid mit den Menschen. Sie sorgen sich nicht um ihre eigene Bequemlichkeit, sondern ermahnen die Menschen Tag und Nacht und sagen, daß ihr Leben kurz ist - sehr kurz; aber der Wert der heiligen Meister wurde immer unterschätzt, seit Wohlstand und Vergnügen überschätzt werden. Die Sants haben die Menschen wiederholt darauf hingewiesen, daß sie in diesem Kali-Yuga (Eisernen Zeitalter) für ein Leben nur eine beschränkte Anzahl von Atemzügen zugebilligt bekamen (diese Zahl ist von Mensch zu Mensch verschieden und wird vom Pralabdh- oder Schicksalskarma bestimmt), es sind etwa 96 000 000 000. Täglich atmen wir ungefähr 26 000 mal. Wenn wir sitzen, verbrauchen wir 12 Atemzüge in der Minute, beim Gehen 18 und beim Geschlechtsverkehr 64. Diese Atemzüge sind unser ganzes Erbe und Vermögen, das wir in diesem körperlichen Leben besitzen. Die Sants raten uns, dieses Vermögen bei einer sicheren Bank mit korrektem Ausgleich anzulegen, um das Leben zu verlängern und den größten Nutzen daraus zu ziehen. Sie betonen nachdrücklich, daß es keinen anderen Weg gibt; doch die Menschen hören nicht auf sie. Die Sants sagen ferner, daß der Mensch dem Gesetz der Evolution unterworfen ist, das 8 400 000 verkörperte Geschöpfe umfaßt, und daß er einen Körper nach dem anderen erhält und er in jedem Körper weiter durch die eisernen Fesseln des unerbittlichen Naturgesetzes des Karma gekettet ist - das heißt, erst durch "Wirken und Handeln", dann durch "Ursache und Wirkung" - und er sich selbst von diesem Kreislauf wiederholter Geburten und Tode befreien muß, um Frieden zu finden. Mit offenen Augen beobachtet der Mensch Lebewesen, auch Menschen, sieht sie leiden und mit unsagbaren Qualen und Todeskämpfen sterben, aber er belächelt die Wahrheit, welche durch die Sants enthüllt wird, und sagt: "Wir wissen es besser, wir haben unsere Erfindungen, unsere Atomenergie usw."

Je weniger ein Mensch denkt, desto mehr spricht er; und die Dinge, die er nicht versteht, bewundert er. Dessen ungeachtet führen die Sants ihre Mission mit Beharrlichkeit fort und bieten jenen, die zu ihnen kommen, eine Erfahrung der göttlichen Wissenschaft (Para Vidya). Der Name des Herrn ist eine sichere Zuflucht. Der Stachel des Tadels zeigt uns, wie wahr das ist. Eine selbstverständliche Wahrheit erfordert keinen Beweis. Man kann die Sonne nur durch ihr Licht erkennen. Auf einem geraden Weg kannst du dich nicht verirren!

 

 

ANMERKUNGEN:

 

1) Bei dieser Erklärung mag man Abneigung empfinden, doch wenn man tiefer nachdenkt, wird man erkennen, daß die Heiligen aller Religionen Menschen im physischen Körper waren, auf die rechte Weise mit Gott verbunden; und sie gaben uns ihren Rat, heilten oder sprachen vom Himmlischen Vater als dem alleinigen Erretter von der Sünde und Gewährer der Erlösung. Es ist allgemeiner Glaube, daß Gott keinen Mitbeteiligten hat und daher immer Gott selbst durch den auserwählten menschlichen Pol und nicht ein Mensch zu uns sprach. Die göttliche Wissenschaft erhellt diesen wichtigen Punkt und bringt all diesen Persönlichkeiten und ihren Lehren mehr Achtung entgegen als irgendeine andere religiöse Bewegung der heutigen Zeit.

Sant Tulsi Sahib aus Hathras (in Uttar Pradesh, Nord-Indien) besuchte einmal in der Begleitung von einigen ergebenen Schülern ein Volksfest in dieser Gegend. Unter den Besuchern, die sich als Sucher und Fragende um ihn versammelt hatten, war auch eine Königin namens Tara Mati, die ihre Staatskarosse in einer gewissen Entfernung zurückgelassen hatte und gekommen war, um den Darshan des heiligen Tulsi Sahib zu erhalten.

Tulsi Sahib warf einen Blick über die Tausende von Menschen auf dem Volksfest und sprach nur ein paar Worte:

"Wenn irgendeiner oder die ganze Menge zu mir kommt und sagt, daß sie den Wahren Herrn in der Höhe sehen will, so werde ich sie direkt zu ihm bringen." Königin Tara Mati, die das hörte, trat mit gefalteten Händen vor ihn und sagte: "Bringt mich gütigst zu Ihm, o Heiliger." Sie saß mit geschlossenen Augen auf dem Boden und bekam auf der Stelle die rechte Erfahrung. Als sie von den hohen Regionen in ihren physischen Körper zurückkam und die Augen öffnete, sagte sie: "Ihr wart auf dem hohen Sitz des Großen Herrn. Warum habt Ihr mir das nicht vorher gesagt?" Tulsi Sahib entgegnete: "Du hättest es mir nicht geglaubt."

2) Diese Gesetze hier so ausführlich zu beschreiben, wie sie die Sants enthüllten, muß unterbleiben, da es zuviel Platz erfordern würde.

Als Soami Ji (Sant Shiv Dayal Singh aus Agra) den physischen Körper willentlich verließ, was nur ein Sant vermag, waren seine letzten Worte: "In der Erscheinungswelt des irdischen Lebens wird jede Art der verkörperten Schöpfung stets auf die nächst höhere Stufe erhoben. Die Auserwählten (unter den Menschen), die ein edles, tugendhaftes Leben führen, werden sich zu dieser Seite (zur inneren Wissenschaft) hingezogen fühlen." (Life of Swamiji Maharaj, 4. Auflage 1938, Seite 117.)

(Sant) Maulana Shamas Tabrez sagte einmal: "Wenn ich einst sterbe und mein Körper verbrannt wird und man diese Asche als Dünger auf ein Weizenfeld streut und den Weizen zu Mehl mahlt und Brot daraus backt und dieses Brot zum Mahl reicht, wird nicht nur der, der es ißt, sondern auch jener, der es ihm reicht, in einem solchen Maße berauscht sein (durch die Liebe  zu Ihm), daß man es nicht mehr beschreiben kann."

3) Ein Sant wird niemals sagen, daß er ein Sant ist. Als man Hazoor sagte, daß er wahrhaft wie Guru Nanak sei, erklärte er ganz offen vor Tausenden im Satsang, daß er nicht einmal mit den Hunden Guru Nanaks irgendeine Ähnlichkeit habe. Diese Demut erhebt die Sants über die Ebene der kultiviertesten menschlichen Wesen, die vielfach Opfer ihres Egoismus sind. Und sie ist der Höhepunkt des Wertes der Sants als Menschen. Zurückgezogenheit ist ein wesentliches Merkmal der Sants. Sie ist ein ihnen innewohnender Wesenszug. Gott ist verborgen und zieht es vor, der äußeren Sicht des Menschen verborgen zu bleiben. Dieses Gesetz des Höchsten Gottes gilt für jene Körper, in denen der Herr zu wirken beliebt. Mißachtung dieses göttlichen Gesetzes zieht körperliche Bestrafung nach sich. Auch aus diesem Grund zeigt ein Meister-Heiliger niemals irgendwelche  Wunder, um Seelen zum Zweck der Initiation vom weltlichen Leben abzuziehen. Ein Student oder Schüler sieht indessen nach der Initiation auf Schritt und Tritt jede Zahl an Wundern in dieser oder in der anderen Welt. Sants kleiden sich nicht auf besondere Weise, noch tragen oder haben sie irgendwelche Merkmale, Zeichen oder Symbole bei sich. Sie rühmen sich niemals selbst, sondern  verweisen immer auf ihren Meister. Wenn man ihnen sagt, daß sie groß sind, antworten sie, daß nichts ihr Werk ist, vielmehr alles durch die Güte und Barmherzigkeit ihres Meisters geschieht.

4) "Sadhu" ist ein anderer gebräuchlicher Name für "Sant"; und es gibt viele Mißverständnisse über diesen Begriff. Das Wort, wie es hier gebraucht wird, bezieht sich nicht auf die Millionen von Menschen mit rot gefärbten Roben, die man in Indien findet und die allgemein als Sadhus bekannt sind. Eine auffallende Kleidung beweist nicht unbedingt, daß man inneren Fortschritt erlangt hat.

5) Bezüglich Punkt 3) und 4) wird auf das "Yog Vasishta", ein religiöses Werk in Sanskrit, verwiesen. Es wurde 1899 von Vihari Lal Mitra ins Englische übertragen. Oft wird es als Anhang des indischen Epos Ramayana bezeichnet und dem Dichter Valmiki zugeschrieben.

 

 


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