Über die Einheit des Menschen
Rundschreiben vom 15. Mai 1974
Dieses Rundschreiben war das letzte, das der Meister
an Seine Initiierten gerichtet hat.
Der Mensch, die höchste Stufe in der ganzen
Schöpfung, ist im Wesentlichen überall derselbe. Alle Menschen werden auf die
gleiche Weise geboren, empfangen gleichermaßen all die Gaben der Natur, haben denselben
inneren und äußeren Körperbau und werden im physischen Körper durch dieselbe
Kraft überwacht, die unterschiedlich als „Gott“,
„Wort“, „Naam“ usw. bezeichnet wird. Als Seelen sind
alle Menschen gleich, sie verehren denselben Gott und sind bewusste Wesen. Vom
selben Geist wie Gott, sind sie Glieder Seiner Familie und so miteinander als
Brüder und Schwestern in Ihm verbunden.
2. Alle erwachten und erleuchteten Meister und
spirituellen Lehrer, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in diese
Welt gekommen sind, haben diese Wahrheit unverändert in ihrer eigenen Sprache
und auf ihre eigene Weise hervorgehoben. Danach bilden alle Menschen, trotz
ihrer verschiedenen sozialen Ordnungen und ihrer Religionszugehörigkeit, nur
eine Klasse.
3. Guru Nanak, der große Lehrer und Messias des
Friedens, sagte:
„Die höchste Stufe ist, sich
zur Universalen Bruderschaft zu erheben – ja, alle Schöpfung als
seinesgleichen zu betrachten.“
4. Indiens altehrwürdiges Mantra, Vasudeva kutumb bukam, stellt denselben Grundsatz auf,
wonach die ganze Welt eine Familie ist. Dennoch weiß ein jeder, dass die Welt
heute trotz langatmiger und lauter Predigten, in denen sich religiöse und
soziale Führer zur Einheit des Menschen bekennen, auf vielfältige Weise von
drückenden Lasten und Spannungen zerrissen ist und in der Tat ein trauriges
Schauspiel bietet. Nur allzu oft sehen wir Einzelne im Streit miteinander und
Brüder ihre eigenen Angehörigen bis aufs Messer bekämpfen. In ähnlicher Weise
sind ganze Völker ständig in Konflikte und Feindseligkeiten verwickelt, wodurch
sie den Frieden und die Stille stören. Die eigentliche Ursache für die heutige
Situation scheint zu sein, dass das Evangelium der Einheit des Menschen, wie
gut es in der Theorie auch angenommen wurde, auf die Menschheit im ganzen
keinen Eindruck gemacht hat und nicht in die Tat umgesetzt wurde. Aus
berechnenden Motiven werden gleichsam nur Parolen verbreitet.
5. Es wird allgemein akzeptiert, dass der
höchste Zweck dieses menschlichen Körpers darin besteht, die Einheit der Seele
mit der Überseele oder Gott zu erlangen. Das ist der Grund, warum man den
physischen Körper als den wahren Tempel Gottes bezeichnet, in dem Er selbst
wohnt. Alle Religionen legen die Mittel und Wege dar, wie man die Überseele
oder Gott erreichen kann; und all die so empfohlenen Mittel und Wege, wie
unterschiedlich sie auch erscheinen mögen, führen zu demselben Ziel, so dass es
für diesen Zweck nicht erforderlich ist, von einer Religion in eine andere zu
wechseln. Man muss nur ernsthaft und beharrlich den Richtlinien folgen, welche
uns die Fackelträger zum Erreichen des Zieles aufgezeigt haben.
6. Es ist jedoch notwendig, größere
Anstrengungen zur Verwirklichung der Einheit des Menschen zu machen. Wir müssen
erkennen, dass jedes menschliche Wesen ebenso gut ein Mitglied der Bruderschaft
ist wie wir selbst und offenkundig mit den gleichen Rechten und Privilegien
ausgestattet wurde, wie sie uns zur Verfügung stehen. Wir müssen daher
sicherstellen, dass nicht der Sohn unseres Nächsten Hunger leidet, während
unsere eigenen Kinder lustig und vergnügt sind; und wenn wir dies wirklich
praktizieren, wird ein Großteil der heutigen Konflikte gelöst. Wir alle werden
gegenseitige Anerkennung, Achtung und Verstehen füreinander entwickeln und auf
diese Weise die groben Ungerechtigkeiten des Lebens beseitigen. Während sich so
gegenseitige Anerkennung und Verstehen entwickeln, werden sie zu einer
lebendigen Kraft, die ein Reservoir des Mitgefühls für andere schafft, das
wiederum Kultur und schließlich Demut – das grundlegende Erfordernis der
Stunde – hervorbringen wird.
7. Die im Februar 1974 in Neu Delhi
veranstaltete Weltkonferenz über die Einheit des Menschen war ein Aufruf an die
Welt. Diese Konferenz war vielleicht die erste ihrer Art seit der Zeit von Ashoka
dem Großen. Sie wurde auf der Ebene des Menschen abgehalten – mit dem
edlen Ziel, die universale Bruderschaft zu fördern, die zu universaler Harmonie
führt Diese Botschaft von der Einheit des Menschen muss ungeachtet religiöser
und sozialer Etiketten jedes Menschen Herz erreichen, so dass sie zu jedem
Einzelnen dringt und ihn befähigt, sie in seinem Leben in die Praxis umzusetzen
und an andere weiterzugeben. Auf diese Weise könnte die ganze menschliche
Gesellschaft erneuert werden. In Wahrheit besteht diese Einheit bereits: als
Mensch – auf dieselbe Weise geboren, mit denselben Vorrechten von Gott;
und als Seele – ein Tropfen aus dem Meer der Allbewusstheit, die Gott
genannt wird, den wir mit verschiedenen Namen verehren; doch wir haben diese
Einheit vergessen. Die Lektion muss nur wiederbelebt werden.
8. Die sogenannte weltweite Kampagne für die
Einheit des Menschen zielt nicht darauf ab, die bestehenden sozialen und
religiösen Ordnungen in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Tatsächlich hat
jeder damit fortzufahren, wie bisher auf seine eigene Weise für die Erhebung
des Menschen zu arbeiten. Darüber hinaus jedoch soll diese Kampagne den Aufruf
zur Einheit des Menschen als ihr eigener Wegbereiter einer möglichst breiten
Masse der Bevölkerung nahe bringen, so dass diese Botschaft die trennenden
Barrieren des Missverstehens und des gegenseitigen Misstrauens durchdringt und
jedes menschliche Herz erreicht. Weiterhin darf die genannte Kampagne nicht
durch intellektuelles Ringen ausgetragen werden, sondern mit einem Höchstmaß an
Bemühung und Verlangen, die Einheit des Menschen in die Tat umzusetzen, so dass
sie zu einer wirklich lebendigen Kraft wird. Die Methode ihrer Verbreitung muss
eher eine der Selbstdisziplin und des eigenen Beispiels sein als öffentliche
Erklärungen und Aufrufe.
9. Es wäre vernünftig, klarzustellen, dass die
Kampagne der Einheit des Menschen oberhalb der Ebene der Religionen
verwirklicht werden muss, ohne irgendwelche religiöse oder soziale Ordnungen in
irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Sie bedarf bei ihrer Umsetzung des Segens
und der Unterstützung all jener, die an das Evangelium der Einheit des Menschen
glauben und es dadurch stärken können, dass sie dieses Evangelium in jedes
Menschenherz tragen, mit dem sie in Kontakt kommen, und alle von der
Notwendigkeit überzeugen, es im täglichen Leben anzunehmen. Es wird weder den
Namen „Ruhani Satsang“ noch den irgendeiner anderen Organisation
tragen. Die Begeisterung seiner Bewunderer wird die wahre Kraft sein, die
hinter der Kampagne am Werk ist.
10. Es wird deshalb dringend ersucht, dass all
jene, die diese Botschaft weitergeben möchten, unermüdlich dafür arbeiten, so
dass sie die entferntesten Winkel der Welt erreichen möge.
Eine Weltkonferenz zur Einheit des Menschen mag im
Westen abgehalten werden, so wie sie in Delhi im Osten stattgefunden hat
– beide wirken letztlich als ein Ganzes.
KIRPAL SINGH