Die Krone des Lebens
Die Yoga-Lehren und der Weg der Meisterheiligen
Sant Kirpal Singh
Origo Verlag Bern/Schweiz 1987
ISBN
3-282-00081-2
Dem
Allmächtigen Gott gewidmet
der durch alle Meister wirkt, die gekommen sind
und Baba Sawan Singh Ji Maharaj
zu dessen Lotosfüßen der Autor
das Heilige Naam – das Wort –
aufnahm
Vorwort
Die
vorliegende Studie, ein Vergleich der verschiedenen Yoga-Systeme, ist
ursprünglich durch die vielen Fragen angeregt worden, die Sucher und Schüler
aus dem Westen immer wieder zu diesem Thema gestellt haben. In dem Bemühen
jedoch, diese Fragen auf systematische und umfassende Weise zu beantworten, hat
die Untersuchung einen viel größeren Umfang angenommen, als ursprünglich
beabsichtigt war. Wie sie nun vorliegt, wird sie aber, so hoffe ich, nicht nur
für jene von Nutzen sein, deren Fragen für die Abfassung den Anstoß gaben,
sondern für alle Sucher, die wissen wollen, was Yoga ist, welche verschiedenen
Systeme es gibt, welche Praktiken diese Umfassen und welche spirituelle
Wirksamkeit sie haben.
In
dieser Zeit der Veröffentlichungen gibt es keinen Mangel an Büchern über Yoga.
Aber wenn man sie sorgfältig prüft, findet man, dass die meisten von ihnen in
der einen oder anderen Hinsicht unzureichend sind. Entweder behandeln sie den
Yoga als ein System von asanas und körperlichen Übungen oder als ein
abstraktes und höchst monistisches Gedankensystem, welches die Einheit alles
Bestehenden und die schließliche Einswerdung der individuellen Seele mit der
Überseele postuliert. In jedem Fall ist die Vorstellung von Yoga, die wir so
erhalten, unvollständig. Von einem praktischen Weg spiritueller Transzendenz
und Vereinigung mit dem Absoluten wird er auf ein System der Körperschulung
oder auf eine (oder mehrere) Schulen der Philosophie eingeschränkt.
Um
der Möglichkeit eines solchen Irrtums auszuweichen, wird das letzte Ziel aller
Yogas – die Einswerdung mit dem Höchsten Herrn – als Brennpunkt für
alle Erörterungen, die sich bei diesem Studium ergeben, im Auge behalten. Alle
bedeutenden alten und neuen Formen werden wieder aufgegriffen, ihre Praktiken
erklärt und diskutiert und ebenso das Ausmaß, bis zu welchem uns jeder von
ihnen dem letzten Ziel entgegenführen kann. Dieser letzte Aspekt einer
vergleichenden Yoga-Studie führt wohl am leichtesten zu Missverstehen und
Verwirrungen. Für die mystische Erfahrung ist es bezeichnend, dass die Seele,
wenn sie sich auf eine höhere als die gewohnte Ebene erhebt, dazu neigt, diese
in Ermangelung höherer Führung irrtümlich als die allerhöchste Ebene anzusehen,
als den Bereich des Absoluten. Und so finden wir, dass die meisten Yogas, indem
sie uns bis zu einem gewissen Punkt auf der inneren Reise bringen, diesen
irriger Weise für das Ziel halten und sie für etwas, was relative Gültigkeit
hat, eine absolute beanspruchen.
Der
einzige Weg, durch den wir den spirituellen Wert einer jeden Yoga-Art
abschätzen und so dem gegenwärtig verworrenen Zustand entkommen können, ist
der, dass wir die allerhöchste ‚Form’ des Yoga, dessen Wirksamkeit
absolut und nicht nur relativ ist, zu unserem Maßstab nehmen. Dieser Maßstab
ist durch den Surat Shabd Yoga gegeben, der auch als Sant Mat
bekannt ist (der Pfad der Sants oder Meister dieser mystischen Schule),
der wahrhaft die Krone des Lebens ist. Indem die Adepten dieses Pfades seine
Praktiken unter genauer Führung übten, sind sie zu Bereichen gelangt, die
anderen Schulen der Mystik gar nicht bekannt sind, und haben sich zuletzt mit
dem höchsten Herrn in Seinem Absoluten und Namenlosen Zustand vereint. Sie
haben in ihren Schriften wiederholt die unvergleichliche Überlegenheit dieses
Yoga des Tonstromes bestätigt und sind, indem sie durch innere Wahrnehmung die
variierende spirituelle Reichweite anderer Yogas beschreiben, selbst weiter
gegangen und haben den absoluten Charakter ihres eigenen Yoga dargelegt.
Wenn
ein Suche einmal die Perspektiven der vergleichenden Mystik, die Sant Mat
aufzeigt, verstehen kann, wird er, so glaube ich, finden, dass ihm diese
äußerst verwickelte Sache nach und nach immer klarer wird. Er wird sehen, dass
die Widersprüche, die so viele verwirren, wenn sie sich anfangs dem
vergleichenden Studium der Mystik zuwenden, für die mystischen Erfahrungen als
solche gar nicht von Bedeutung sind, sondern die Folge der Verwechslung einer
relativen Wahrheit mit der absoluten – ein Irrtum, der für diejenigen
nicht existiert, die, indem sie den höchsten Pfad gehen, alle inneren Stufen
aus erster Hand kennen gelernt haben und um die Ziele wissen, zu denen jeder
Yoga führen kann. Er versucht dann nicht weiter, der Frage nach der
Spiritualität auszuweichen, indem er sie lediglich als alten Aberglauben und
schwarze Magie abtut. Er wird sie als eine zeitlose innere Wissenschaft sehen,
die ihre eigenen unveränderlichen Gesetze und variierenden Wirkungsformen hat,
aber eine Wissenschaft, deren Erkenntnisse nicht statisch sind, sondern sich
entfaltet haben, so wie sich die Menschen von den niedrigen zu den höheren
Formen des Yoga entwickelt haben. Und vor allem wird er erkennen, so hoffe ich,
dass die Einswerdung mit dem Höchsten Herrn kein bloßer Tagtraum oder das
hypothetische Postulat einer monistischen Philosophenschule ist, vielmehr eine
lebendige Möglichkeit, deren Verwirklichung das Ziel der menschlichen Existenz
ist und die zu erreichen durch die richtige Führung, die richtige Methode und
die rechte Anstrengung in Reichweite aller liegt, ungeachtet des Alters, des
Geschlechts, der Rasse oder des Glaubens.
KIRPAL SINGH
Sawan
Ashram,
6.
Juni 1961
Inhaltsübersicht
Erster Teil
Die Yoga Lehren
Zweiter Teil
Der Surat Shabd Yoga