Der Zweck des menschlichen Lebens
Der Mensch sucht nach dem Glück, aber er findet
keinen Frieden des Gemüts. Selbst wenn er seine Ziele erreicht, bleibt er
unbefriedigt. Deshalb nimmt seine Suche nach Frieden und Glück nie ein Ende.
Der heilige Augustinus sagte, Gott habe uns die Sinne gegeben, um sie recht zu
gebrauchen, wir aber missbrauchen sie dadurch, dass wir uns sinnlichen
Vergnügungen hingeben; wohingegen die Glückseligkeit, nach der wir streben
sollten, nur in den heiligen Schriften aufgezeigt bleibt.
Der Mensch ist ein beseeltes Wesen, mit Körper,
Gemüt und Intellekt ausgestattet. Er sorgt gut für seinen Körper, damit es ihm
in häuslichen, sozialen und politischen Dingen wohl ergehe. Intellektuell hat
er überdurchschnittliche Fortschritte erzielt. Die Erde, die Meere, den
Weltraum hat er erfolgreich erforscht; er hat auch Atombomben hergestellt. Eine
einzige kann Millionen Wesen vernichten. Bei all seinen Leistungen ist es
seltsam genug, dass er nichts weiß über die Hauptenergiequelle, über die Seele,
sein wahres Selbst, von welcher sein Körper und sein Gemüt ihre Kraft erhalten.
Er fühlt sich so sehr als der Körper, dass er nicht fähig ist, seine Seele vom
Körper zu unterscheiden. Tatsächlich weiß er nicht, dass sein wahres Selbst
etwas vom Körper Getrenntes ist. Haben wir jemals über diese Antriebskraft in
uns nachgedacht? Konnten wir den Bewohner dieses Körperhauses erkennen?
Die Seele ist ein bewusstes Wesen. So wie jedes
Wesen seinen grundlegenden Ursprung hat, hat die Seele letztlich eine Quelle,
die Überseele, das unermessliche Meer des All-Bewusstseins. Das gesamte
Universum ist seine Offenbarung. Durch die ständige Verbindung mit den Sinnen
fühlt sich die Seele eins mit dem Körper. So weiß der Mensch nicht, dass er
wahres Glück nur dann haben kann, wenn er fähig ist, sein Selbst den äußeren
Hüllen zu entziehen. Die Verstrickung mit Körper und Gemüt ist so groß, dass er
immer unglücklich und ruhelos bleibt. Da die Seele bewusst ist, der Körper aber
materiell (ohne Bewusstsein), können die beiden nicht gut zusammen existieren.
Wir geben vor, religiös zu sein durch das Lesen
heiliger Schriften, ohne dass wir deren wirklichen Sinn erfassen, und durch
Darbringen herkömmlicher Gebete an den Stätten der Gottverehrung. Alles aber,
was wir erbitten, ist nur körperliche Gesundheit und weltlicher Reichtum. Wir
trachten also nach materiellem Wohlergehen, nicht nach Gottverwirklichung. Die
meisten von uns bringen Gott nur deshalb Gebete dar, damit sich unsere
weltlichen Sehnsüchte erfüllen mögen. Wir suchen Gottes Segnungen nur darum,
weil wir körperliche und intellektuelle Riesen werden möchten. So ist Gott nur
ein Mittel, um Vergängliches in der Welt zu erlangen. Demnach erhalten wir
immer nur das, wonach wir verlangen: Die materielle Welt – nicht Gott.
Gott zu erkennen bedingt, dass wir uns zuerst selbst
erkennen. Seit undenklichen Zeiten versuchten viele Gott philosophisch zu
erklären. Er aber bleibt wie immer unerklärbar. Gott kann weder durch den Körper,
den Verstand noch durch die Sinne erkannt werden. Er kann nur durch die Seele
erlebt werden. Solange wir uns nicht selbst erkennen, kann keine Rede davon
sein, Gott zu erkennen. Deshalb ist der erste Schritt in diese Richtung die
Selbsterkenntnis, die der Gotterkenntnis vorausgeht. „Erkenne dich
selbst!”, war immer der Ruf der Heiligen und Weisen gewesen. Guru Nanak1
wurde einmal von einem Moslem-Heiligen gefragt, welches sein Glaube sei. Er
antwortete, dass er niemals einen Anspruch darauf erhebe, ein Hindu oder Moslem
im üblichen Sinne zu sein. Er erklärte, dass sein Körper aus fünf Elementen
zusammengesetzt sei und dass die Gotteskraft in ihm pulsiere.
Hazoor (Baba Sawan Singh) wurde einmal gefragt, zu
welcher Religion er gehöre. Er erwiderte: „Wenn Gott ein Hindu ist, bin
ich ein Hindu, ist Er ein Sikh, bin ich ein Sikh, ist Er ein Moslem, dann bin
auch ich einer und wenn Er ein Christ ist, bin ich ein Christ.”
Alle Religionen sind durch Menschen geschaffen
worden. Gott hat niemandem den Stempel einer Religion aufgedrückt. Um die das
Universum überwachende Kraft erfahren zu können, ist es unumgänglich und
wesentlich, „sich selbst zu erkennen”, wie Christus sagte. Auch
Guru Nanak hat gesagt: „Solange man sich nicht selbst analysiert, ist es
nicht möglich, die Täuschung abzulegen und die Wirklichkeit zu erkennen. Wenn
euer drittes Auge nicht geöffnet ist, könnt ihr Gott nicht erkennen.”
Das Thema dieses Vortrages ist, wie verschiedene
Heilige das Geheimnis des Lebens gelöst haben. Sicher gibt es nur eine Wahrheit,
man kann sie aber auf verschiedene Weise darstellen. So ist unser Vorbild stets
die Wahrheit. Hören wir, was Soamiji2 zu diesem Thema sagt:
„Verbinde deine Seele mit Naam.”
Uns wird geraten, unsere Seele mit dem Wort zu verbinden. Das besagt, dass
unsere Aufmerksamkeit gegenwärtig mit anderen Dingen als dem Wort verbunden ist. Was bedeutet
Aufmerksamkeit? Es ist die Bewusstheit, ein Zustand des Wachseins oder
Gewahrseins. Wir können es Aufmerksamkeit nennen, Geist oder Seele. Es ist
dieser Lebensstrom, der aus unserem Selbst, unserer Seele fließt, welcher als
treibende Kraft in uns wirkt. Soamiji regt an, diesen Strom mit dem Wort zu verbinden. Wo ist nun der
Ursprung dieses Stromes? Er ist am Sitz der Seele, zwischen den beiden
Augenbrauen. Was geschieht in der Todesstunde? Das Leben zieht sich zurück und
steigt von den Füßen an aufwärts zum Augenhintergrund. Die hinter den Augen
konzentrierte Kraft ist unser wirkliches Selbst. Nachdem diese Kraft sich
zurückgezogen hat, ist der Körper ohne jede Bedeutung. Dies ist die wichtigste,
jedoch meist übergangene Tatsache.
Um diese Sache weiter zu erforschen, muss man sich
vergegenwärtigen, dass die Seele ein vom Körper getrenntes Wesen ist. Wir
müssen lernen und üben, die Seelenströme von den unteren Zentren des Körpers
zum Augenbrennpunkt zurückzuziehen. Dieser Vorgang gleicht jenem, der sich im
Augenblick des Todes vollzieht. Wir müssen uns über das Körperbewusstsein
erheben. Die theoretische Kenntnis dieses Vorgangs reicht nicht aus. Weit
wichtiger ist die Praxis. Ein Gramm Praxis ist mehr wert als Tonnen von
Theorien.
Wir müssen also unsere Seele mit dem Wort verbinden. Lasst uns nun überlegen,
was das Wort (Naam) besagt. Es hat
zwei Bedeutungen. Die eine ist die Bezeichnung von etwas. Die andere ist jene
grundlegende Kraft, auf die sich die Bezeichnung bezieht. Zum Beispiel ist
Wasser an sich ein Ding, aber es hat viele Namen, wie „water”,
,,aqua”, ,,H20”, usw. Ganz ähnlich ist es mit der
Wahrheit; sie ist eine, aber die Weisen haben sie auf viele Arten beschrieben.
Guru Nanak sagt: „Ich möchte mich selbst allen Deinen Namen zum Opfer
bringen, o Gott.” Guru Gobind Singh (der zehnte Sikh-Guru) sammelte
Hunderte von Gottbezeichnungen in seinem Werk „Jaab Sahib”. Diese
Namen sind Ergänzungen zu allen jenen, die bereits in den verschiedenen
heiligen Schriften erwähnt werden. Trotz Hunderten von Namen bleibt Gott der Eine. Ähnlich ist es mit den
verschiedenen Religionen, deren Ziel nur eines ist.
Wir müssen zunächst die Gotteskraft mit Hilfe
gesprochener Namen verstehen lernen. Dies ist aber nur unser erster Schritt.
Obwohl der Name vom Benannten nicht verschieden ist, scheint es zunächst so,
bis man mit dem Benannten wirklich in Berührung kommt. Da kostet jemand eine
Mangofrucht und erklärt, sie sei süß. Aber einer, der weder eine Mango gesehen,
noch Zucker probiert hat, kann nicht wissen, wie süß sie ist. Gott zu erkennen
ist somit von äußerster Wichtigkeit. Wir müssen also mit gesprochenen Namen
beginnen. Es ist bedauerlich, dass sich Leute über die verschiedenen
Gottesnamen, die von den jeweiligen Religionsgründern gebraucht wurden,
entzweien. Alle diese Namen beziehen sich auf den höchsten Gott, und sie alle
verdienen unsere Ehrerbietung. Das Eigentliche ist ja die Gotteskraft, auf die
sich diese Namen beziehen. Jene Kraft ist ewige Wahrheit. Es ist das Eine, wird
immer das Eine bleiben und wird Naam oder Wort
genannt.
Das Wort ist
der Ursprung der ganzen Schöpfung, und es kann nur durch die Hilfe eines
Satguru (eines wahren Meisters) erfahren werden. Guru Nanak hat dies deutlich
im Jap Ji3 erklärt:
„Was auch immer ins Dasein kommt, ist eine Schöpfung des Wortes." Das Wort ist die Kraft, welche im kleinsten Teilchen des Universums
vorhanden ist. Es ist das göttliche Bindeglied, das den Körper mit der Seele
verbindet. Wenn es zerreißt, tritt der physische Tod ein. Es ist dasselbe
Bindeglied, welches das ganze Universum und die höheren spirituellen Ebenen
erhält. Wenn dieses göttliche Bindeglied zurückgezogen wird, erfolgt die
gänzliche Auflösung.
Nun erhebt sich die Frage, welches die Stelle im
Körper ist, an der sich dieser über das göttliche Bindeglied mit der Seele
berührt. Guru Nanak sagt uns, dass man mit dem Wort in Verbindung käme, nachdem die sechs Chakras (Kraftzentren
des Körpers) überschritten seien und das Aggya Chakra hinter und zwischen den
beiden Augenbrauen erreicht sei. Einzig hier ist die Stelle des göttlichen
Bindeglieds, nicht irgendwo sonst im Körper. Der weise Patanjali4 und
andere Heilige der Vergangenheit haben diesen Vorgang ebenso erklärt. Wenn man
sich über die sechs niedrigen Chakras erhoben hat und das Aggya Chakra
erreicht, ist man mit dem himmlischen Tonstrom, dem Anhat5 Ton
verbunden, und geht in Sahasrar6 ein, der ersten spirituellen Ebene.
Der Anhat Ton ist das göttliche Bindeglied. Er ist das Wort oder die göttliche Kraft, welche in jedem menschlichen Wesen
vorhanden ist. Dies ist der Ursprung alles Seienden.
Im Gurbani7 heißt es; Naam, das Wort, sei unsichtbar, unergründlich,
grenzenlos und lieblich – einfach unbeschreiblich. Es birgt eine
andauernde göttliche Berauschung und Glückseligkeit. Wer auch immer dies
erfährt, vergisst alle weltlichen Freuden. Die Seele ist ein Tropfen aus dem
Meer des All-Bewusstseins, bedeckt durch zahllose Hüllen des Körpers, des
Gemüts und der Sinne. Solange ein Mensch in die materielle Welt vertieft ist,
wird er sich des göttlichen Naam im Innern nicht bewusst.
Was bedeutet Naam? Aus dem Gurbani wissen wir, dass
die Verbindung mit Naam innen einen grandiosen Blick auf das göttliche Licht
– das Licht Gottes – eröffnet. Es bezieht sich auch auf das
Tonprinzip – den Ton grenzenloser Freude. Es gibt also zwei Bedeutungen
von Naam – der Gotteskraft –Licht und Ton. In den Veden wird Naam
als Udgit oder Nad – die Musik des Jenseits – beschrieben. Nach den
Veden hat Nad vierzehn Sphären hervorgebracht.
Moslem-Weise sprechen von „Kalma“. Sie
sind ebenfalls der Ansicht, dass Kalma vierzehn tabaks (Sphären) schuf. Einst
betete Maulana Rumi8: „0 Gott, führe mich dahin, wo man
Gespräche ohne Worte führt.” Christus sagt: „Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Im Gurbani steht:
„Naam hat die Erde und den Himmel geschaffen. Alles Licht ging von Naam
aus. Die ganze Schöpfung entstand aus Naam, das in allen menschlichen Wesen
ertönt.“
Das Wort existierte bereits vor der Schöpfung. Es
ist somit der Ursprung aller Schöpfung. Heilige aller Religionen äußerten
ähnliche Gedanken zum gleichen Thema:
„Das Wort war während aller
vier Yugas9 (Zeitalter)
der Erlösungsquell der Menschen.”
Gurbani
Gott ist wortlos, namenlos und jenseits aller
Beschreibung. Als Er sich zum Ausdruck brachte, nannte man das ,,Naam”,
das Wort, das sich in Licht und Ton kundgab. Wer sich mit Naam verbindet, ist
fähig, einen inneren Kontakt mit Gott herzustellen. Hafiz Sahib, ein persischer
Dichter der Mystik von Ruf, sagte: „Niemand kennt die Wohnstatt des
Geliebten, aber es ist sicher, dass der Glockenton von dort kommt.“ Wenn
man der Melodie des Tons folgt, wird man seinen Ursprung erreichen. Deshalb ist
das Wort – Licht und Ton – das sicherste Mittel zum Ziel: der Weg
zurück zu Gott.
Um eine Verbindung mit dem göttlichen Licht zu
erhalten, muss man sich durch Selbstanalyse über das Körperbewusstsein erheben.
Nur dann ist es möglich, mit dem göttlichen Ton in Berührung zu kommen. Durch
die Verbindung mit Naam findet man Frieden und ewige Glückseligkeit.
„Jene sind gesegnet, die mit
dem Wort verbunden sind,
o Nanak, wer immer der ewigen Musik lauscht,
erlangt Erlösung.”
Gurbani
Die Menschen verlieren sich im allgemeinen in die
verschiedenartigen Namen Gottes. Die ganze Welt spricht von Naam, aber es gibt
nur wenige, welche die wahre Bedeutung von Naam kennen. Naam ist eine Sache der
Praxis. Wenn wir uns nicht selbst erkennen, indem wir uns über das
Körperbewusstsein erheben, kann die Seele keine Verbindung mit der Überseele
herstellen. Deshalb müssen wir unsere Seele mit Naam verbinden.
"Jene, die sich mit dem Wort
verbunden haben,
deren Mühen werden enden.
Nicht nur werden sie erlöst sein, o Nanak, sondern
viele andere werden mit ihnen die Freiheit finden.”
Jap Ji
Und im Gurbani steht:
„Ein Gurmukh (Geliebter des
Meisters)
kann Millionen Seelen befreien,
wenn er nur ein Fünkchen seines Lebensimpulses gibt.”
Emerson sagt: „Der Schlüssel zum Erfolg sind
unsere eigenen Gedanken.” Um auf irgendeinem Weg des Lebens einen
Fortschritt zu erzielen, muss man seine Aufmerksamkeit auf jenen speziellen
Aspekt konzentrieren. Ähnlich ist es, wenn man seine Aufmerksamkeit auf das
Oberselbst richtet: man wird dann spirituelle Größe erlangen. Bulleh Shah10,
ein Moslemheiliger, erkundigte sich bei seinem spirituellen Lehrer, wie man
Gott finden könne. Der Führer erwiderte: „Es ist so leicht, wie das
Zurückziehen der Aufmerksamkeit von hier (der Welt) und sie mit dort (dem Wort)
zu verbinden.” Unser „wirkliches Selbst” ist unsere
Aufmerksamkeit. Wir sind Seele, keine Körper, aber wir sind von unseren Körpern
ganz in Anspruch genommen.
Soamiji sagt uns:
„Lasst uns alle unsere
Aufmerksamkeit mit
dem Wort verbinden.
Körper und Reichtum werden keine Hilfe sein,
wenn wir der negativen Kraft gegenüberstehen.”
Der menschliche Körper ist der erste Gefährte der
Seele. Er kommt mit ihr zusammen, wenn das Kind geboren wird. Aber selbst
dieser Gefährte verlässt uns beim Tod, ganz zu schweigen von den weltlichen
Verbindungen, an die wir uns gewöhnt haben. Unser eigenes Wesen, das in
ständiger Berührung mit dieser materiellen Welt ist, hat sich zu diesem Niveau
erniedrigt. Das Ergebnis davon ist, dass wir immer wieder auf diese
vergängliche Welt kommen müssen. Im Gurbani steht: „Die Seele geht stets
dahin, wo sie gebunden ist.”
Wenn wir zu Lebzeiten fähig sind, uns selbst zu
analysieren und lernen, uns über das Körperbewusstsein zu erheben dadurch, dass
wir einen höheren Kontakt mit Naam bekommen, erfahren wir eine Glückseligkeit,
die uns alle weltlichen Vergnügungen und Bindungen vergessen lässt:
„Weltliche Vergnügungen sind
nichts
gegenüber der göttlichen Glückseligkeit.”
Gurbani
Deshalb lehrten Heilige:
„0, Freund, gib die schalen
sinnlichen Vergnügen auf und trinke das
süße Elixier von Naam.”
Gurbani
Wenn man eine Kostprobe der wahren Wonne bekommt,
werden alle weltlichen Vergnügungen schal. Die wirkliche Glückseligkeit ist
entweder innerhalb unseres eigenen Seins oder in Naam – der wirkenden
Gotteskraft –, denn die Seele ist von ihrem Wesen.
Die Seele ist ein Funken des göttlichen Geistes. Sie
ist in sich selbst Wonne, und sie ist ein bewusstes Wesen. Die Seele ist der
Quell aller Seligkeit, nicht der Körper oder gar weltliche Dinge. Heilige haben
uns warnend darauf hingewiesen, dass weltliche Dinge, die unsere Aufmerksamkeit
fesseln, keinesfalls eine tatsächliche Hilfe für uns sind. Nicht nur werden
diese weltlichen Dinge beim Tod zurückbleiben, sondern die ständige Bindung an
sie zieht die Seele immer wieder in diese Welt. „Was nützt es dem
Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner
Seele.” Die Seele bewohnt dieses Haus (den Körper). Sie muss diese
sterbliche Hülle ablegen und alles zurücklassen. Wenn die Zeit kommt, wo wir
diesen Körper verlassen müssen, werden wir sehr schmerzlich berührt wegen
unserer Bindung an ihn. Das Bereuen hat dann keinen Sinn mehr. Wenn die Seele
während des Lebens eine Verbindung mit dem Jenseits zustande bringt, erlangt sie
vollkommenen Frieden. Wir aber denken ja nie an die jenseitige Welt. Im
allgemeinen folgen wir dem Grundsatz: ‚,Iß, trink und sei
fröhlich!” Wenn uns irgend jemand an den Tod erinnert, beachten wir dies
nicht und sagen, dass wir uns mit ihm befassen werden, wenn er kommt. Das ist
keine weise Einstellung. Wenn eine Taube beim Anblick einer Katze die Augen
schließt, wird die Katze sie nicht schonen. Jeder muss den Körper verlassen. Es
gibt keine Ausnahme von dieser Regel.
„Kaiser und Könige, Reiche und
Arme,
alle müssen gehen, wenn sie an der Reihe sind.”
Gurbani
Wir müssen alle gehen, aber wir wissen nicht wann.
Wir sollten auf diese Veränderung vorbereitet sein. Aber sind wir das?
„Jeder fürchtet den Tod und
wünscht ewig zu leben.
Wenn man durch die göttliche Gnade des Gurus lernt,
schon während des Lebens zu sterben, kann man
ein bewusster Mitarbeiter des Herrn werden.
Jeder, der so stirbt, erlangt Erlösung.”
Gurbani
Wenn wir zu sterben lernen, indem wir uns über das
Körperbewusstsein erheben, werden wir ewiges Leben erlangen. Alle Heiligen
sagen uns, dass Gott uns drei Körperformen verlieh: die physische, die astrale
und die supramentale oder kausale. Auf der physischen Ebene (Pind) arbeiten wir
jetzt durch die Sinne. Nach dem Tod erlangt die Seele die astrale Form. Mit den
astralen Sinnen kann sie die astrale Ebene durchqueren (And). Mit der
supramentalen Form kann die Seele gleicher Weise die kausale Ebene betreten
(Brahmand). Jenseits dieser drei Ebenen erlangt die Seele Selbsterkenntnis. Nur
auf dieser Stufe werden wir fähig sein, zu erfahren, wer wir wirklich sind.
Soamiji sagt:
„Wenn man das Feuer
unaufhörlicher Wünsche
vermeidet, ist dies die günstigste Zeit, friedvolle
Glückseligkeit zu erreichen.”
Unsichtbare Feuerflammen verzehren die Welt. Guru
Nanak sagte: „Dies ist das Feuer der Wünsche, das sich überall
ausgebreitet hat.” Obwohl wir die Opfer sind, werden wir es nicht gewahr.
Nur die Heiligen kennen das wirkliche Ausmaß dieses Feuers. Einzig im
Menschenleben sind wir in der Lage, diesem höllischen Feuer zu entfliehen. Das
ist der Grund, weshalb das menschliche Leben als die Krone der Schöpfung gilt.
Aber ohne aufrichtige Anstrengung in der rechten Richtung kommt keine Erlösung
zustande. Wenn wir zum Beispiel glühende Hitze vermeiden wollen, suchen wir
Schutz in einem Raum mit Klima-Anlage. In unserem Fall ist der klima-geregelte
Raum in uns selbst. Wir müssen uns von außen zurückziehen und in ihn eintreten,
um glückseligen Trost von allen Trübsalen der Welt zu finden. Es ist höchste
Zeit, dass wir uns nach innen wenden. Wenn wir diese gottgegebene Gelegenheit
nicht wahrnehmen, sind wir nicht besser als wilde Tiere. Der menschliche Körper
ist von Wert, solange die Seele in ihm wohnt. Wir sollten das Beste in dieser
Zeit aus ihm machen.
Der Mensch ist umgeben von den Flammen
leidenschaftlicher Wünsche, von Arger, Gier, Verhaftbetsein und Eitelkeit.
Dieser Verblendung kann man nur entrinnen, wenn man sich mit dem Wort
verbindet. Unsere bedeutendste Aufgabe ist deshalb, die Aufmerksamkeit von
draußen zurückzuziehen und sie in Einklang zu bringen mit der inneren
göttlichen Melodie. Dann kommt ewiger Friede in der Gestalt des Wortes. Wer
immer diese wesentliche Aufgabe vollbracht hat, ist im Leben wirklich erfolgreich.
Sonst ist alles Lernen ohne jede Bedeutung genauso wie Name, Ruf und
Berühmtheit. Es ist nun an der Zeit zu lernen, wie man sich über das
Körperbewusstsein erhebt, um das wirkliche Selbst in uns zu erkennen.
„Meditiere über die Gestalt
des Satguru
und diene ihm getreu; so wird er dich
wegführen von allem Leid.”
Soamiji
Soamiji sagt uns nun, wie wir die Seele mit der
Gotteskraft (Naam) verbinden können. Drei Schritte wären zu tun – sagt er
–, um uns über das körperliche Bewusstsein zu erheben. Der erste ist
Simran (Kontemplation), ständiges Denken an den Allmächtigen. Der zweite ist,
dem Meister zu dienen. Der dritte, alle Wünsche zu überwachen. Wir sind immer
damit beschäftigt, über weltliche Dinge nachzudenken. Wenn wir einen Kontakt
mit dem göttlichen Wort herstellen wollen, dann müssen wir zuerst ständig durch
einen uns geläufigen Namen Seiner gedenken. Wir sollten uns das als
bedeutendstes und vornehmstes Leitbild zur Gewohnheit machen, nämlich Seiner zu
gedenken in jedem Augenblick unseres Lebens. Wir müssen weltliche Gedanken
durch ständiges Denken an das Wort ersetzen.
Denke ununterbrochen an Ihn allein, so sehr, dass du
den Schmerz über die Trennung zu spüren beginnst. Der erste Schritt ist, Seiner
zu gedenken. Dieses Denken führt zur Liebe und lässt andererseits den Schmerz
der Trennung fühlen. So entsteht eine starke Sehnsucht nach dem Geliebten.
„Um einzig des Einen zu
gedenken und sich nach Ihm
zu sehnen, lobpreise Ihn allein unaufhörlich.
Meditiere über Ihn mit all deiner Liebe.”
Gurbani
Simran sollte mit intensiver Liebe zu Gott geübt
werden. Liebe bringt Sammlung. Man vergesse die ganze Welt, wenn man an den
geliebten Einen denkt.
Ein anderer Zweck des Simran ist, die Seele mit
ihrem wirklichen Wesen gleichzusetzen. Noch ein anderes Ziel des Simran ist,
das Selbst in die Lage zu setzen, sich selbst zu erkennen. Denn die Seele hat
sich ja mit dem Körper identifiziert. Sie muss vom Körper zurückgezogen und an
ihrem eigentlichen Sitz – in der Mitte zwischen den Augenbrauen –
konzentriert werden. Lord Krishna sagt in der Bhagavad Gita, dass die Großen in
die Höhle eintreten, die von einer Stelle über der Nase ihren Ausgang nimmt.
Man kann Simran auf verschiedene Weise durchführen:
mit Hilfe des Rosenkranzes oder mit der Zunge, in der Kehle oder im Herzen.
Heilige raten jedoch von diesen Methoden ab, weil sie leicht mechanisch werden
und dem Gemüt erlauben, abzuschweifen. Eine Sammlung der Aufmerksamkeit scheint
deshalb durch diese Methoden kaum möglich zu sein.
Darum raten die Heiligen, Simran mit der Zunge des
Gedankens zu üben. Alle Heiligen, einschließlich Maulana Rumi, Guru Arjan und
Soamiji haben auf diesen spirituellen Pfad hingewiesen. Guru Arjan betete:
„0 ihr Heiligen, habt Mitleid mit uns, wir müssen erst lernen, wie wir
unseren Seelen dienen können.”
Wir arbeiten auf den intellektuellen und den
Sinnesebenen. Bis wir gelernt haben, uns über das Körperbewusstsein zu erheben,
verändert sich unsere missliche Lage nicht. Yogis versuchten den Atem durch
Kumbhak zu beherrschen, um gesammelte Aufmerksamkeit zu erlangen. Das ist ein
schwieriger Vorgang, den nicht jeder durchführen kann. Deshalb stören Heilige
die Atmung nicht. Sie ziehen ihre gesammelte Aufmerksamkeit am Sitz der Seele
zusammen, der sich hinter und in der Mitte der beiden Augen befindet. Dies
geschieht durch gedanklichen Simran. Führen wir das mit gespannter
Aufmerksamkeit durch, wird die Seele aufhören, durch die Poren des Leibes
auszuströmen. Der Körper wird dann empfindungslos. Erst danach kommt die so in
sich gesammelte Seele in Verbindung mit Gott.
Dennoch ist gedanklicher Simran nicht so leicht, wie
es zu sein scheint. Er kann nur erfolgreich geübt werden durch die Segnungen
eines kompetenten Meisters. Es ist auch ein Unterschied, ob man Simran durch
die Wiederholung der durch einen kompetenten Meister gegebenen Namen übt oder
ob man diese den heiligen Schriften einer Religion entnimmt. Die durch einen
kompetenten lebenden Meister bei der Initiation gegebenen Namen sind mit seinem
Gedankenimpuls geladen, in welchem eine gewaltige Kraft wirksam ist. Deshalb
ist diese Art Simran allen anderen Simranformen überlegen. In den Veden und
anderen heiligen Schriften steht, dass der nach Gott Strebende die Führung
durch einen wirklichen Meister suchen muss. Außer den geladenen Namen gibt der
Meister auch noch eine tatsächliche Verbindung mit der göttlichen Kraft. Da
erhebt sich nun die Frage, wie man zu dieser kompetenten Führung kommen kann.
Soamiji heißt uns, dem Meister zu dienen. Man kann ihm auf vielen Wegen dienen,
körperlich, finanziell, mit dem Verstand und spirituell. Man sollte ein
keusches und reines Leben führen. Lasst euren Körper immer in selbstlosem
Dienst tätig sein. Dies ist leibliches Dienen. Einen Teil des Einkommens sollte
man für wohltätige Zwecke geben. Das wäre finanzieller Dienst. Nach Erfüllung
der familiären Bedürfnisse müsst ihr einen Teil eures Verdienstes im Namen
Gottes beiseite legen. Hier handelt es sich um eine Pflicht, die man nicht
vernachlässigen darf. Dienst mit Herz und Verstand findet seinen Ausdruck in der
Liebe für alle, indem wir keinen hassen und uns an die Wahrheit halten. Der
Dienst der Seele ist von höchster Bedeutung. Um dies zu vollbringen muss man
sich über das Körperbewusstsein erheben und das innere Auge öffnen. Ein Meister
braucht unsere Dienste nicht im herkömmlichen Sinn. Wenn wir nur seinen Geboten
folgen, unser Leben rein erhalten, dann dienen wir nicht nur dem Meister,
sondern unserem eigenen Selbst. Der Meister liebt jene am meisten, die ihren
eigenen Seelen dienen und ein gottesfürchtiges Leben führen. So ermahnt uns
also Soamiji, uns die Gesinnung des Dienens zu eigen zu machen und von
sinnlichen Wünschen abzustehen.
In der Sinnlichkeit sind alle Begierden mit
eingeschlossen. Es ist deshalb wesentlich, an der Keuschheit festzuhalten. So wie
Licht und Finsternis nicht gleichzeitig sein können, sind auch das
„Wort” und sinnliche Begierden unvereinbar. Aus diesem Grunde ist
Keuschheit zu beachten. Verheiratete aber brauchen nicht zu verzweifeln. Sie
sollten ein diszipliniertes Leben führen in Übereinstimmung mit den heiligen
Schriften, die ehelichen Beziehungen nur zum Zweck der Zeugung erlauben. Die
meisten Heiligen oder große Seelen (Mahatmas) waren Familienväter und erfüllten
ihre familiären Verpflichtungen. Hazoor sagte, dass jene, die ihre Kinder rein
und keusch erziehen wollen, selbst so sein sollten. Kinder neigen dazu, es
ihren Eltern gleichzutun.
Soamiji verlangt also von uns dreierlei, wenn wir
uns über das Körperbewusstsein erheben und Verbindung mit Naam erlangen wollen:
Simran zu üben, dem Meister zu dienen und ein reines Leben zu führen.
Weiter sagt Soamiji, dass man einen Vorgeschmack vom
göttlichen Nektar nur dann mit Hilfe eines Meisters bekommen kann, wenn man
Gemüt und sinnliche Wünsche beherrschen gelernt hat. Gegenwärtig ergießt sich
die Seele durch die Sinne nach außen. Bezähmt eure Sinne und festigt euer
Gemüt. Dann werdet ihr wissen, wer ihr seid. Erst wenn ihr euch selbst erkannt
habt, kann sich die Frage nach der Erkenntnis des Überselbst ergeben. Jene, die
ihre Sinne beherrschen, können sich selbst befreien vom feindlichen Einfluss
der Gier, des Ärgers, des Geizes, des Verhaftetseins und der Eitelkeit. Diese
fünf Todfeinde greifen uns durch die fünf Sinne an. Ihr könnt diesen
verhängnisvollen Angriffen nur entrinnen durch das Erheben über das
Körperbewusstsein. Die Upanishaden stellen fest: Die Seele fährt im Wagen des
Körpers, getrieben durch die Sinnes-Pferde, mit den Zügeln des Gemüts und mit
dem Verstand als Fahrer, in die Arena sinnlicher Vergnügungen. Mit Nachdruck
weist Soamiji auf die Notwendigkeit hin, Sinne und Gemüt zu beherrschen. Ist
dies geschehen und die Seele erhebt sich über das Körperbewusstsein, dann
entbietet der Meister im Innern den göttlichen Heiltrank von Naam. Sind nun
diese Lehren für irgendeine besondere Religionsgemeinschaft gedacht? Die Lehren
aller großen Seelen sind für die gesamte Menschheit und nicht für die Anhänger
irgendeiner besonderen Religion.
Hazoor pflegte zu sagen: „Geh zu dem Tor, wo –
erfüllt von Mitleid und Barmherzigkeit – der Satguru wartet, dich in
Empfang zu nehmen.” Welches Tor ist damit gemeint? Es ist das Tor in der
Mitte und hinter den beiden Augenbrauen. Wenn die Seele einmal die Gelegenheit
bekommt, das Elixier von Naam zu kosten, dann hat sie einen Ausgangspunkt für
ihre spirituelle Reise zum endgültigen Bestimmungsort gewonnen. Außerdem
befreit dies vom Netzwerk des Gemüts.
Auf dem spirituellen Pfad ist das Gemüt ein
gewaltiges Hindernis. Immer ist die ganze Welt sein Opfer gewesen. Sogar
Mahatmas und Rishis, große Seelen der Vergangenheit, die verschiedene Methoden
anwandten, das Gemüt zu überwachen, unterlagen in irgendeinem Stadium seiner
mächtigen Einwirkung. Um so mehr müssen wir das Gemüt überwachen. Aber wie? Es
kann nicht kontrolliert werden durch äußeres Streben, wie zum Beispiel aus den
heiligen Schriften lernen oder sie studieren. Wird es auch eine Zeitlang
gezügelt, entzieht es sich doch wieder der Überwachung, denn es ist immer
hinter sinnlichen Vergnügungen her. Hauptsächlich gibt es zwei Verlockungen für
das Gemüt: schöne Dinge anzusehen und auf liebliche Melodien zu hören. Im
gleichen Augenblick, in dem ihr melodische Musik hört, wird eure Aufmerksamkeit
auf sie gelenkt. Der einzige Weg, das Gemüt in den Griff zu bekommen ist, es
mit Naam zu verbinden, das diese beiden Anziehungspunkte aufweist. Innerhalb
der verschiedenen spirituellen Ebenen hat man wundervolle Ausblicke und hört
bezaubernde Melodien. Wenn das Gemüt innen faszinierendere Erfahrungen macht als
außen, wird es automatisch bezwungen.
Folglich wird man erst frei von Wünschen bzw.
Begierden, wenn man eine Verbindung mit Naam herstellt. Nach einem Gleichnis
sprang einst Lord Krishna in den Yamuna-Strom, in dem eine tausendköpfige Kobra
lebte. Er vollführte einen Tanz auf ihren Köpfen zu den Klängen seiner
Lieblingsflöte und bändigte die todbringende Schlange. Was ist mit diesem
Gleichnis gemeint? Die tausendköpfige Kobra ist das Gemüt. Dieses vergiftet uns
auf unzählige Weise. Kommen wir in Einklang mit dem inneren himmlischen
Tonstrom, kann das Gemüt besiegt werden. Es gibt kein anderes Mittel. Ein
Moslem-Mystiker sagte, wenn man fest entschlossen sei, Gott zu erreichen, trete
man mit dem ersten Schritt auf das Gemüt, mit dem zweiten wird man dann Gottes
Thron erreichen.
Soamiji rät, unser Zaudern aufzugeben und
unverzüglich mit der Meditation zu beginnen. Sahaj-Yoga, der durch die Heiligen
gewiesene Pfad, hat drei Aspekte: Simran, Meditation und das Ergreifen des
himmlischen Tonstroms. Simran erhebt die Seele über das Körperbewusstsein. Wenn
dies einmal geschehen ist, wird durch Meditation oder Versenkung – mit
hingebungsvoller Aufmerksamkeit geübt – ein Ruhepunkt für ihr Bleiben
geschaffen, bis sie den himmlischen Tonstrom erfasst und ihm lauscht.
Shamas-i-Tabrez11 sagt: „Jeden
Augenblick ruft ein göttlicher Ton meine Seele, zum Herrn zu kommen.”
Tulsi Sahib12 sagt ebenfalls: „Lausche mit gespannter
Aufmerksamkeit im Bogengang der wirklichen Kaaba (Körper) und du wirst einen
Ruf vom Jenseits hören.” Dieser Körper ist Gottes Tempel und die Stirn
der Bogengang des von Tussi Sahib beschriebenen Tempels. Aufschub ist der Dieb
der Zeit. Wir neigen dazu, die Meditation durch den einen oder anderen Vorwand
hinauszuschieben. Beginnen wir sogleich mit dem Meditieren, so dass wir aus dem
sterblichen Körper herausgehen können. Am Ende muss der Körper ja doch
zurückgelassen werden. Wenn wir lernen, ihn während des Lebens zu verlassen,
kann der Tod uns nicht beunruhigen. Wir werden dann sorgenfrei sein.
Soamiji sagt, einzig der Satguru ist imstande, die
Seele über das Körperbewusstsein zu heben. Bittet deshalb mit jedem Atemzug um
die Gnade eines wahren Meisters. Ich habe bereits über die Wirksamkeit von
Simran gesprochen. Er bringt die Seele über das Körperbewusstsein. Ein anderer,
aber gleich wichtiger Punkt ist, dass die Seele jetzt dem Körper verhaftet ist.
Ohne die Hilfe eines kompetenten Meisters mit seiner Gedankenübertragung durch
persönliche Aufmerksamkeit kann die Seele weder vom Körper getrennt, noch über
das Körperbewusstsein erhoben werden. Hier liegt die Größe und Wichtigkeit
eines Satguru. Prüfen wir die Echtheit eines Gurus sachlich, so besteht diese
darin, dass er fähig ist, die Seele zu ihrem eigentlichen Sitz zu erheben.
Deshalb müssen wir seine Gnade und Hilfe erbitten. Alle großen Seelen baten
gleicherweise darum. Maulana Rumi bestätigt das durch seine Frage: „Wer
ist fähig, die Menschheit aus diesem mysteriösen Irrgarten (Welt) zu befreien?
Nur ein Prophet oder ein Meister, der beauftragt ist, dies zu tun.”
Deshalb müssen wir die Hilfe einer verwirklichten Seele suchen; aber es muss
wirklich eine Seele sein, die sich selbst erkannt hat. Wenn ein
‚sogenannter’ Meister seine eigene Seele nicht über das
Körperbewusstsein erheben kann, wie sollte er anderen dazu verhelfen können?
Die Verantwortlichkeit eines kompetenten Meisters ist tatsächlich groß. Nicht
nur hilft und führt er uns in dieser Welt, sondern er ist auch ein Lichtträger
auf unserer inneren Reise.
Soamiji betont deshalb nachdrücklich, dass Beten zu
einem kompetenten Meister der einzige Ausweg sei. Aus Barmherzigkeit wird er
uns eine Erfahrung des Überbewusstseins vermitteln. Danach folge man seinen
Geboten, gedenke ständig seiner vom ganzen Herzen und halte sich daran, ihm
immer eifrig zu dienen.
Auch Tulsi Sahib fordert uns auf, durch den Schleier
der Dunkelheit hinter den Pupillen der Augen zu sehen. Wie man das macht? Er
sagt, wir sollten zu einer Seele gehen, die Gott verwirklicht hat. Ein solcher
Meister wird uns eine innere Erfahrung vermitteln, uns über das
Körperbewusstsein heben und uns sagen, wie wir durch die innere Dunkelheit
hindurchsehen können. Unser inneres Auge wird also geöffnet. Alle Heiligen
stimmen in diesem Punkt überein.
Soamiji hat uns geraten, voller Liebe die
Gesellschaft eines wirklichen Meisters zu suchen. Geht dahin in liebender
Hingebung, und lasst alle weltlichen Gedanken hinter euch. Ihr solltet dann nur
einen Gedanken haben – den Gedanken an euren Meister. Sitzt dort,
versunken in ihn, und lauscht mit voller Aufmerksamkeit, was euch der Meister
zu sagen hat.
Soamiji erklärt nun die Wichtigkeit des Satsang. Er
sagt: „Nehmt am Satsang mit großem Ernst teil.“ Wir haben das
Geheimnis von Leben und Tod zu ergründen. Erfasst, was dort gelehrt wird, und
nehmt es in euch auf. Wir sind vom Glück begünstigt, wenn wir in Berührung mit
einem wahren Meister kommen und durch seine Gnade innere Erfahrungen erhalten.
Wenn wir nicht nach seinen Angaben handeln, wird sich unser spiritueller
Fortschritt verlangsamen. Deshalb wird so viel Nachdruck darauf gelegt, auf
unnötige weltliche Dinge zu verzichten. Die eigene spirituelle Erfahrung wird
fortgesetzt wachsen, bis im Innern die leuchtende Gestalt des Meisters
erscheint. Er wird mit euch sprechen und euch führen. Während ihr die richtige
Führung durch den Meister erhaltet, widmet der Meditation hinreichend Zeit und
formt euer Leben nach des Meisters Lehren. Wir müssen zielstrebig sein, denn
wir können es uns in unserem augenblicklichen Zustand nicht leisten, mit
unseren Anstrengungen nachlässig zu werden, da wir uns noch über das
Körperbewusstsein zu erheben haben.
Schließlich erklärt Soamiji, was Naam (das Wort), was unser Reiseziel und unser
Ideal ist. Er sagt, unser Ziel ist, unsere Seele mit Sat Naam (dem wahren Wort) zu verschmelzen, der ewigen
namenlosen Gotteskraft. Zunächst müssen wir uns über das Körperbewusstsein
erheben und das unterste Bindeglied erfassen. Nach allmählichem Überschreiten
der verschiedenen höheren Ebenen wird die Seele endlich dort hingelangen, wo
nichts als Wahrheit ist. Die drei Regionen – die elementare, die
feinstoffliche und die kausale – sind zerstörbar. Jenseits dieser drei
Ebenen befindet sich Sat Lok oder Sach Khand, welches die Wohnstatt des
Allmächtigen ist. Dies ist das Ziel, das wir erreichen müssen. Als Jesus
Christus seine sterbliche Hülle verließ, wies er seine Jünger an, vor allem
jenes Ziel zu erreichen, das er sie gelehrt hatte. Die menschliche Geburt
gewährt euch eine günstige Gelegenheit. Macht den besten Gebrauch davon.
KIRPAL SINGH
Sawan
Ashram, Delhi
(Aus einem Vortrag)
Erläuterungen:
1
Guru Nanak (1469-1539): Begründer der
Sikh-Religion
2
Soamiji (1818-1878): Soami Shiv
Dayal Singh, der große Heilige von Agra, welcher die Lehren von den Meistern
wie Kabir und Nanak wiederbelebte
3
Das Jap Ji: Die Einleitungshymne Guru
Nanaks zum Adi Granth, der Bibel der Sikhs
4
Rishi Patanjali: Urheber des Yoga-Systems. Sein
Ashtang Yoga (der achtfältige Pfad) ist der erste Versuch, die vielen
vorhandenen Wege in Übereinstimmung zu bringen und zwar durch ein einziges
einheitliches System für die spirituelle Wiedervereinigung der Menschen
5
Anhat: Unvergleichliche Melodie
6
Sahasrar: Es gibt vier große
Gliederungen des Universums:
1. Sach Khand oder die Region von Sat Naam, des reinen Geistes,
2. Brahmand (kausal oder supramental): In verschiedenen Graden sind hier
Geist und Materie in feiner Form verbunden, doch der Geist regiert,
3. And (astral): hier ist der Geist abhängig von der Materie, wenn er sich
offenbaren will. Sahasrar ist ein Teil dieser Region,
4. Pind (physisch): hier ist der Geist latent, von Materie in dichtester
Form überwuchert.
7
Gurbani: Die Schriften der Sikh-Meister
8
Maulana Rumi: Ein großer persischer
Heiliger, Verfasser des bekannten Masnavi
9
Yugas: Die vier großen Zeit-Zyklen sind: Sat Yuga,
Dwapar Yuga, Treta Yuga und Kali Yuga, welchen sich die Zeit des Pralaya oder
der Auflösung anschließt
10
Bulleh Shah: (1760-1810): Ein
Dichter-Heiliger des Punjab. Seine „Kafis” sind ein Markstein der
mystischen Dichtung des Punjab
11
Shamas-i-Tabrez: Ein großer Heiliger aus Tabrez
in Persien. Er war der Meister des bekannten Maulana Rumi
12
Tulsi Sahib (1763-1843): Der Heilige
von Hathras. Eigentlicher Name: Sham Rao Hulkar, Kronprinz von Gwalior, der auf
den Thron verzichtete, um sich der Meditation zu widmen