Ansprache
von
Sant Kirpal Singh Ji Maharaj
auf der
3. Weltreligionskonferenz

am 26. Februar 1965

Diverse Schriften Nr. 08

 

 

 

Mein eigenes Selbst in Form der Damen und Herren!

 

Wieder einmal haben wir uns in der historischen Stadt Delhi zusammengefunden. Dieses Mal findet die Konferenz der Weltgemeinschaft der Religionen, die dritte ihrer Art, an einem Ort statt, der als Ramlila-Platz bekannt ist – ein Ort, der Jahr für Jahr durch die Aufführung von Szenen aus der Lebensgeschichte Lord Rama geweiht wird, der im epischen Zeitalter die höchste Kultur des Aryavarta, des Landes der Arier, in sich symbolisierte. Er wird noch jetzt wie je zuvor als Idealbild der verschiedenen Lebensphasen verehrt - als idealer Sohn, idealer Bruder, idealer Gatte und idealer König -, und bezeichnenderweise schildert sein Leben vor allem den ewigen Kampf zwischen Tugend und Laster im Gemüt des Menschen und in der Welt um ihn, der zuletzt zum Triumph des Guten über das Übel führt. 

Der Gedanke der Weltgemeinschaft der Religionen ist, wie Sie alle wissen, nicht neu. Wir haben Beispiele aus der Vergangenheit, daß erleuchtete Könige wie Kharwal, Ashoka, Samudra-Gupta, Harsha, Verdhna, Akbar und Jehangir, jeder auf seine Weise, solche Konferenzen abgehalten haben, um die Gesichtspunkte verschiedenen Religionen, die zu der Zeit vorherrschten, zu verstehen, und die gelehrten Männer des Reiches einluden, damit sie die Schriften der verschiedenen Religionen in die Umgangssprache des Volkes übersetzten. In der gegenwärtigen Zeit lebte der Gedanke neu auf, als 1893 in Chikago ein Parlament der Religionen einberufen wurde. Die Idee des jetzigen Forums hatte Muni Sushil Kumar Ji. Er wollte eine Weltgemeinschaft der Religionen bilden, unter deren Leitung internationale Konferenzen abgehalten und ununterbrochene Arbeit zur Förderung der gegenseitigen Achtung und des Verstehens der verschiedenen Religionen geleistet werden könnte. Unsere erste Konferenz wurde im November 1957 im Diwan-i-Aam, dem öffentlichen Hörsaal im Roten Fort, abgehalten. Etwa drei Jahre später, im Februar 1960, war Kalkutta Schauplatz der Beratungen. Ich freue mich, daß die Gemeinschaft während dieses Zeitraumes an Stärke zugenommen hat. Es ist ermutigend, alle die Delegierten zu sehen, die sich aus den vier Himmelsrichtungen der Welt versammelt haben und zahllose Abstufungen religiöser Gedanken und Meinungen vertreten, jedoch in der einen gemeinsamen Bemühung vereint sind, die wesentliche und grundlegende Einheit aller Religionen herauszufinden, den gemeinsamen Berührungspunkt, in dem sich alle Glaubensbekenntnisse einig sind. Kurz, wir sind auf der Suche nach der großen Wahrheit des Lebens, der Grundlage aller Existenz, ganz gleich, auf welcher Ebene.

Alle Religionen stimmen darin überein, daß Leben, Licht und Liebe die drei Erscheinungsformen des höchsten Ursprungs von allem sind, was existiert. Diese wesentlichen Attribute der Gottheit, die EINE ist, obwohl sie durch die Propheten und Menschen der Welt verschieden bezeichnet wird, sind auch wahrlich in die Urform jedes empfindenden Wesens eingewirkt. Es ist dieses weite Meer von Liebe, Licht und Leben, in dem wir leben, unser wahres Sein haben und uns bewegen; und dennoch, so befremdlich es auch erscheinen mag, erkennen wir, wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, diese Wahrheit nicht, und noch weniger praktizieren wir sie in unserem täglichen Leben. Daher die endlose Furcht, Hilflosigkeit und Not, die wir trotz all unserer löblichen Anstrengungen und ernsthaften Bemühungen, davon frei zu werden, um uns herum in der Welt sehen. Die Liebe ist der einzige Prüfstein, mit dem wir unser Verstehen der beiden Prinzipien des Lebens und Lichts in uns messen können und auch wie weit wir auf dem Pfad der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis bereits vorangekommen sind. Gott ist Liebe, und die Seele im Menschen ist ein Funken dieser Liebe; und Liebe ist wiederum das Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen einerseits und zwischen dem Menschen und Gottes Schöpfung andererseits. Darum ist gesagt': "Wer nicht liebt, kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe." Ähnlich sagt Guru Gobind Singh: "Wahrlich, ich sage dir, daß allein der, dessen Herz von Liebe überfließt, Gott finden wird." Liebe ist kurzum die Erfüllung des Gesetzes des Lebens und des Lichts. Alle Propheten, alle Religionen und alle Schriften fußen auf zwei Geboten. "Du sollst lieben den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Gemüt." Dies ist das erste und größte Gebot. Und das zweite ist dem gleich: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Über unsere Einstellung unseren Feinden gegenüber befragt, sagte Christus: "Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Darum sollt ihr vollkommen sein', wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

Laßt uns mit dem Maßstab der Liebe, dem wahren Wesen von Gottes Sein, unsere Herzen prüfen. Ist unser Leben ein Aufblühen von Gottes Liebe? Sind wir bereit, einander mit Liebe zu dienen? Halten wir unsere Herzen für die gesunden Einflüsse geöffnet, die von außen kommen? Sind wir geduldig und tolerant gegenüber jenen, die anders sind als wir? Dehnen sich unsere Herzen aus mit der Schöpfung Gottes, bereit, die Gesamtheit Seines Seins zu umfassen? Bluten wir innerlich beim Anblick der Niedergeschlagenen und Bedrückten? Quälen uns die Qualen anderer? Beten wir für die kranke und leidende Menschheit? Wenn wir nichts von alledem tun, sind wir noch weit entfernt von Gott und von der Religion, ganz gleich, wie laut wir in unserer Rede, wie fromm in unseren Plattheiten und wie hochtrabend wir in unseren, Erklärungen sein mögen. Bei all unserem inneren Verlangen nach Frieden haben wir versagt und hoffnungslos versäumt, der Sache von Gottes Frieden auf Erden zu dienen. Ziele und Mittel sind ineinandergreifende Dinge und können nicht voneinander getrennt werden. Wir können keinen Frieden finden, solange wir ihn mit kriegsähnlichen Mitteln und mit Waffen der Zerstörung und Vernichtung zu erreichen suchen. Mit dem Keim des Hasses in unseren Herzen - mit Rassen- und Farbenschranken, die in uns nagen; mit Gedanken politischer Vorherrschaft und wirtschaftlicher Ausbeutung, die in unserem Blutstrom branden - arbeiten wir am Untergang des sozialen Gefüges, .das wir so mühsam aufgebaut haben, und nicht für den Frieden, es sei denn, den Frieden des Grabes; jedoch bestimmt nicht für einen lebendigen Frieden, der aus gegenseitiger Liebe und Achtung geboren wurde. Vertrauen und Eintracht' können die Menschheit bessern und die Erde in ein Paradies verwandeln, um das wir so inbrünstig beten und das wir von Kanzeln und Rednerbühnen predigen, da das aber doch im Maße unseres Fortschritts in den fernen Horizont zurückweicht.

Wo liegt dann das Heilmittel? Ist die Krankheit ganz unheilbar? Nein, so ist es nicht. "Das Leben und das Licht Gottes" sind noch da, um uns zu helfen und in der Wildnis zu führen. Wir sehen diese Wildnis rund um uns her, weil wir im Innersten unseres Herzens verwirrt sind und die Dinge nicht in ihrer richtigen Perspektive sehen. Die große äußere Welt ist nichts als eine Widerspiegelung unserer eigenen kleinen Welt innen. Die Saaten der Uneinigkeit und Disharmonie im Boden unseres Gemüts tragen Frucht in und um uns, und dies in Fülle. Wir sind, was wir denken, und wir sehen die Welt durch die rauchgeschwärzten Gläser, die zu tragen wir gewählt haben. Es ist nur der einzig positive Beweis dafür, daß wir bisher "das Leben und Licht Gottes" noch nicht erkannt und noch weniger "Gott im Menschen" verwirklicht haben. Wir haben uns im Spiel des Lebens vom Zentrum entfernt. Wir spielen es nur an der Peripherie und sind niemals in die tiefsten Wasser des Lebens im Zentrum eingetaucht. Aus dem Grunde finden wir uns im Strudel des wirbelnden Wassers dauernd an der Oberfläche gehalten. In der Tat ist das Leben an der Peripherie unseres Seins nicht verschieden vom Leben am Zentrum unseres Seins. Die beiden sind in Wirklichkeit identisch, sehen jedoch verschieden aus, wenn das eine vom anderen getrennt ist. Daher das befremdende Paradox: das physische Leben, obwohl eine Offenbarung Gottes, ist voller Mühe und Unruhe, Sturm und Ungestüm, Zerstreuung und Zerrissenheit. In unserer Begeisterung und dem Hunger nach dem äußeren Leben auf dem Sinnesplan sind wir zu weit von unserem Mittelpunkt abgeirrt, nein, wir haben ihn gänzlich aus den Augen verloren, und noch schlimmer, wir sind von den Verankerungen unseres Schiffes abgeschnitten; und so ist es kein Wunder, daß wir auf dem Meer des Lebens hilflos hin- und hergeworfen werden. Ohne Steuer und ohne einen Kompaß, der uns den Kurs anzeigt, sind wir unwissentlich eine Beute von Wind und Wasser und können nicht die Untiefen, Sandbänke und versunkenen Felsen sehen, mit denen unser Weg Übersät ist. In dieser schrecklichen Notlage treiben wir auf dem dahinstürmenden Strom des Lebens - wohin? Wir wissen es nicht.

Nach alledem ist diese Welt nicht so schlecht, wie wir annehmen, und kann es nicht sein. Sie ist eine Offenbarung des Lebensprinzips des Schöpfers und wird durch Sein Licht erhalten. Seine Liebe ist die Grundlage von allem. Die Welt mit ihren verschiedenen Religionen ist für uns geschaffen und wir sollten Nutzen daraus ziehen. Man kann nicht auf trockenem Land schwimmen lernen. Alles, was wir tun müssen, ist, die grundlegenden Lebenswahrheiten, die. in unseren Schriften dargelegt sind, richtig zu erkennen und zu verstehen und sie unter der Führung eines in Gott lebenden Heiligen gewissenhaft zu praktizieren. Diese Schriften sind durch gottinspirierte Propheten entstanden, und darum können sie uns von einem gottberauschten Menschen oder einem Gottmenschen genau ausgelegt werden; er kann uns, indem er die anscheinenden Widersprüche in ihrem Gedankengut in Einklang bringt, mit ihrer wahren Bedeutung vertraut machen und uns schließlich innerlich auf dem Gottespfad helfen. Ohne eine solche praktische Führung außen und innen sind wir in dem magischen Zauber der Formen und Meinungen gefangen und können unmöglich mit den esoterischen Wahrheiten in Berührung kommen, die unter der Masse des Wortschwalls vergangener Epochen verborgen liegen und sich nun im Lauf der Zeit infolge der durch Verordnungen geregelten Formen, Formeln und Formalitäten der herrschenden Klasse zu Versteinerungen verdichtet haben.

Jede Religion hat notgedrungen einen dreifachen Aspekt: erstens den traditionellen, der die Mythen und Legenden für die Laienbrüder enthält; zweitens die auf dem Verstand basierenden philosophischen Abhandlungen, um den Hunger der Intellektuellen zu befriedigen, die sich mehr mit dem Warum und Wofür der Dinge beschäftigen, als mit irgend etwas anderem und dabei großen Nachdruck auf die Theorie der Sache legen und die ethische Entwicklung, die für das spirituelle Wachstum so sehr wichtig ist, betonen; und drittens den esoterischen Teil, den zentralen Kern einer jeden Religion, der für die wenigen Erwählten, die echten Wahrheitssucher, bestimmt ist. Dieser letzte Teil befaßt sich mit den persönlichen mystischen Erfahrungen der Gründer jeder Religion und anderer fortgeschrittener Seelen. Dieser Teil, der Mystizismus genannt wird, ist der Kern aller Religionen, der erforscht und für die Praxis und Erfahrung im Herzen verwahrt werden muß. Diese inneren Erfahrungen aller Weisen und Seher sind seit undenklichen Zeiten die gleichen, ungeachtet der religiösen Gemeinschaften, zu welchen sie gehörten, und handeln hauptsächlich vom Licht und Leben Gottes - gleichgültig, auf welcher Ebene -, und die Methoden und Mittel zum Erreichen direkter Ergebnisse sind ebenso die gleichen. "Religiöse Erfahrung", sagte Plotin, "liegt im Finden der wahren Heimat durch das Exil", womit er die Pilgerseele meint, für die das Reich Gottes augenblicklich nur eine verlorene Provinz ist. Ähnlich sagt uns Berson, ein anderer großer Philosoph: "Der sicherste Weg zur Wahrheit ist der über Wahrnehmung, Intuition und Schlußfolgerung bis zu einem gewissen Punkt, und dann, indem man den tödlichen Sprung tut."

Diese Philosophen haben nichts Neues gesagt. Sie haben nur auf ihre eigene Weise die altehrwürdigen Wahrheiten des Para Vidya, des Wissens vom Jenseits, wiederholt, deren Zeugnisse wir in kurzer und bündiger Form in allen Schriften der Welt finden. Zum Beispiel haben wir in der christlichen Theologie:

1)     "Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst." Und Paulus fügt bezeichnenderweise hinzu: "Ich sterbe täglich."

2)     "Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden."

Der heilige Prophet der Araber spricht von "Mautu Kinal Ant Mautu", das heißt vom Sterben vor dem tatsächlichen Tod. Dadu und andere Heilige sagen ähnlich: "Lerne während des Lebens zu sterben, denn am Ende muß natürlich jeder sterben."

So haben wir gesehen, daß das "Licht und Leben Gottes" den einzigen gemeinsamen Boden bilden, auf dem sich alle Religionen begegnen; und wenn wir diese Rettungsleinen ergreifen würden, könnten wir lebendige Zentren der Spiritualität werden, ganz gleich, welcher Religion wir unsere Treue für die Erfüllung unserer sozialen Bedürfnisse und die Entwicklung unseres moralischen Wohlergehens schulden. Gott schuf den Menschen, und der Mensch schuf im Laufe der Zeit die Religionen als so viele Mittel für seine Erhebung, entsprechend den maßgebenden Bedingungen des Volkes. Während wir uns dieser Mittel bedienen, ist unser erstes Erfordernis, unser moralisches und spirituelles Wachstum in einem Ausmaß zu vergrößern, daß wir Gott näher kommen; und es mag vermerkt werden, daß dies nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine sichere mathematische Gewißheit ist, so wie zwei mal zwei vier ist natürlich mit der richtigen Führung und Hilfe eines Adepten, der nicht nur in der Theorie, vielmehr auch in der Praxis der Wissenschaft der Seele wohl bewandert ist. Es ist nicht bloß das Gebiet von Philosophen, Theologen oder intellektuellen Größen. Ich gebe nur zwei Beispiele um diesen Punkt zu veranschaulichen. Gott wird in allen Schriften als der "Vater des Lichts“, "Nooran-alanoor", "Swayum jyoti sarup" beschrieben, was alles nur sinnverwandte Ausdrücke sind. Aber fragt irgendeine religiöse Autorität nach der Bedeutung dieser Worte - sie wird sagen, daß dies nur bildliche Begriffe ohne irgendeine innere Bedeutung sind. Warum? Weil derjenige nicht selbst Sein unerschaffenes und unvergängliches, selbstleuchtendes und schattenloses Licht wirklich erfahren hat, das Moses, Zoroaster, Buddha, Christus, Mohammed, Nanak, Kabir und andere ihrer Art tatsächlich bezeugten und verwirklichten; und diejenigen, die mit ihnen in Verbindung kamen, lehrten, das gleiche zu tun.

Wiederum, genau wie das Entzünden von Kerzen ein Symbol des inneren Lichts ist, so gibt es andererseits in Kirchen und Tempeln auch die Bräuche des Glockenläutens und des "Azaans" durch den Muezzin, die eine viel tiefere Bedeutung haben, als erkannt wird, und die aber verwunderlicherweise nur als ein Zusammenrufen der Gläubigen zum Gebet aufgefaßt werden. Hierin liegt der große Unterschied zwischen Lernen und Wissen, die entgegengesetzte Pole sind; denn diese beiden sind Symbole der Musik der Seele, des Hörbaren Lebensstromes, der Sphärenmusik, des wirklichen Lebensprinzips, das in der ganzen Schöpfung pulsiert.

Ohne Ihre Zeit noch mehr in Anspruch zu nehmen, möchte ich darüber hinaus betonen, daß alle Religionen sehr gut, und wahrhaft unserer Liebe und Achtung. wert sind. Das Ziel dieser Konferenz ist weder, eine neue Religion zu gründen, denn wir haben schon genug davon, noch die vorhandenen Religionen zu bewerten.

Wiederum sollten wir den Gedanken verwerfen, eine "Weltreligion" aufzustellen, denn alle Religionen sind gleich den vielen Staaten, trotz ihrer verschiedene n Farben und Formen nur lieblich duftende Blumen im Garten Gottes. Das dringendste Bedürfnis der Zeit ist darum, unsere religiösen Schriften aufmerksam zu studieren, um unser verlorenes Erbe wiederzuerlangen. Ein Heiliger sagt: "Jedermann hat in sich eine Perle von unschätzbarem Wert, aber da er nicht weiß, wie er sie ans Tageslicht bringen soll, geht er mit einer Bettelschale umher." Es ist ein praktisches Thema; und es selbst eine Religion der Seele zu nennen, ist eine falsche Bezeichnung, denn die Seele als solche hat überhaupt keine Religion. Wir mögen es, wenn Sie wollen, die Wissenschaft der Seele nennen, denn es ist wahrhaftig eine Wissenschaft, wissenschaftlicher als alle bekannten Wissenschaften der Welt und imstande, wertvolle und nachweisbare, ganz präzise und bestimmte Resultate hervorzubringen. Dadurch, daß wir mit dem Licht- und Lebensprinzip, den ersten Offenbarungen Gottes, im Laboratorium des menschlichen Körpers in Berührung kommen, den alle Schriften als einen "wahrhaftigen Tempel Gottes" bezeichnen, können wir das "Brot und das Wasser des Lebens" wirksam in Anspruch nehmen, uns ins kosmische Bewußtsein erheben und Unsterblichkeit erlangen. Dies ist der Anfang und das Ende aller Religionen; und da wir alle in die EINE Gottheit eingebettet sind, sollten wir alle die erhabene Wahrheit der Vaterschaft Gottes und der Bruderschaft der Menschen repräsentieren. Es ist das lebendige Wort des lebendigen Gottes, das eine große Kraft in sich hat. Es heißt ganz richtig: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern durch das Wort Gottes." Und dieses Wort Gottes ist ein ungeschriebenes Gesetz und eine ungesprochene Sprache. Wer sich durch die Kraft des Wortes selbst findet, kann niemals wieder irgendetwas in dieser Welt verlieren. Wer einmal den Menschen in sich selbst begreift, versteht die ganze Menschheit. Es ist dieses Wissen, durch das alles andere Wissen bekannt wird. Dies ist ein unveränderliches Gesetz des unwandelbaren Seins und ist nicht vom menschlichen Verstand ersonnen worden. Es ist das "Sruti" der Veden, das "Nad" oder "Udgit" der Upanischaden, das "Sarosha" des Zend Avestha, der Heilige Geist der Evangelien, das "Verlorene Wort" der Freimaurer ` das "Kalma" des Propheten Mohammed, das "Saut" der Sufis, das "Shabd" oder "Naam" der Sikh-Schriften, die "Musik der Sphären und aller Harmonien" des Plato und Phythagoras und die "Stimme der Stille" der Theosophen. Jeder ernsthafte Wahrheitssucher kann damit in Verbindung kommen, es ergreifen und sich ihm mitteilen, und dies nicht nur zu seinem eigenen Wohl, sondern für das der ganzen Menschheit, denn es wirkt wie ein zuverlässiges Sicherheitsventil gegen alle Gefahren, von denen die Menschheit in diesem Atomzeitalter bedroht ist.

Die einzige Vorbedingung zur Erlangung dieses spirituellen Schatzes in unserer eigenen Seele ist Selbsterkenntnis. Darum haben die Weisen und Seher zu allen Zeiten und in allen Himmelsrichtungen mit unmißverständlichen Worten Nachdruck auf die Selbstanalyse gelegt. Ihr lauter Ruf an die Menschheit war immer: "Mensch, erkenne dich selbst!" Die arischen Denker der eisgrauen Vergangenheit nannten es "Atem Gian" oder das Wissen vom Atman oder der Seele. Die alten Griechen oder Römer bezeichneten es ihrerseits mit den Worten "Gnothi seauton" und "Nosce te ipsum". Die Moslem-Geistlichen nannten es "Khud-Shanasi", und Guru Nanak, Kabir und andere betonten die Notwendigkeit von "Apo Cheena" oder der Selbstanalyse und erklärten, daß solange der Mensch nicht seine Seele von Körper und Gemüt trennet, er nur ein oberflächliches Leben der Täuschung auf der physischen Daseinsebene führt. Wahres Wissen ist unzweifelhaft eine Tätigkeit der Seele und ohne die Sinne vollkommen. Dies ist dann der Gipfel aller Nachforschungen, die der Mensch durchgeführt hat, seit das erste Aufflackern des Selbsterwachens in ihm dämmerte.

Dies ist die eine Wahrheit, die ich in meinem Leben theoretisch und praktisch von meinem Meister Baba Sawan Singh Ji Maharaj gelernt und Ihnen heute dargelegt habe, wie ich es schon bei den Menschen im Westen und Osten während meiner ausgedehnten Reisen tat; und ich habe die Erfahrung gemacht, daß sie überall bereite Aufnahme fand wie eine gültige Münze; denn sie ist das einzige Heilmittel für alles Übel der Welt, wie auch für die Übel des Fleisches, die der Mensch natürlicherweise durch das Wirken des unerbittlichen Gesetzes von Ursache und Wirkung - was ihr sät, das werdet ihr ernten — ererbt.

Alle unsere Religionen sind demnach ein Ausdruck des inneren Dranges, den der Mensch von Zeit zu Zeit verspürt, um einen Weg von der Disharmonie im Äußeren zum stillen Frieden der Seele im Inneren zu finden. “Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis begreift es nicht.“ Aber wir sind von Natur aus so geschaffen, daß wir ruhelos sind, bis wir in dem grundlosen Urgrund Ruhe finden. Wenn wir nach unseren Schriften lebten und das Licht und Leben Gottes in uns verwirklichten, dann würde, so sicher wie der Tag der Nacht folgt, die “Liebe“ als Höchstes im Universum regieren, und wir würden aller­orts nichts anderes als die Unsichtbare Hand Gottes wirken sehen.

Wir müssen also als Glieder der einen großen Menschenfamilie zusammensitzen, damit wir einander verstehen können. Wir sind vor allem anderen eins auf der Ebene Gottes als unserem Vater, auf der Ebene des Menschen als Seine Kinder und auf der Ebene derer, welche dieselbe Wahrheit oder Kraft Gottes anbeten, die mit so vielen Namen benannt wird. In dieser erhabenen Versammlung von spirituell Erwachten können wir die “große Wahrheit der Einheit des Lebens“ lernen, das im Universum vibriert. Wenn wir das tun, wird uns diese Welt mit ih­ren vielen Formen und Farben sicherlich als wahrhaftige Schöpfung Gottes erscheinen, und wir werden tatsächlich spüren, daß der gleiche Lebensimpuls uns alle belebt. Als Seine eigenen lieben Kinder, die in Ihn eingebettet sind gleich vielen Rosen in Seinem Rosenbeet, wollen wir uns im liebevollen Gedenken Gottes vereinigen und in dieser Stunde drohender Gefahr der Vernichtung, die uns ins Gesicht starrt, für das Wohlergehen der Welt zu Ihm beten. Möge Gott in Seiner unendlichen Barmherzigkeit uns alle erretten, oh wir es verdienen oder nicht.

Ehe ich mich niedersetze, heiße ich Sie herzlich willkommen, meine Brüder und Schwestern, und danke Ihnen wärmstens für Ihre Freundlichkeit und Ernsthaftigkeit bei der Förderung dieser edlen Mission, die uns zusammengeführt hat.

 

 

 


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