Der wahre Meister und Seine Mission

 

aus: Der Meister spricht, Bd. II (1980)

 

 

 

 

Einmal fragte Raja Parikshat seinen Minister, aus welchem Grund in Zeiten einer moralischen Krise oder großer Not Gott selbst seinen Kindern zu Hilfe komme, obwohl Ihm eine zahllose Dienerschaft ständig zu Gebote stehe und Er jeden von ihnen anweisen könne, die Arbeit an Seiner Stelle zu tun. Der Minister antwortete, daß ein liebender Vater wie Gott nicht anders kann, als herabzukommen, um Seinen Kindern zu helfen. Der Raja ersuchte den Minister, seine Erklärungen zu beweisen, und letzterer versprach, es im Laufe der Zeit zu tun.

Nach einigen Tagen fertigte der Minister eine Puppe an, die aussah wie der Sohn des Raja, und kleidete sie so, wie der Prinz gekleidet war. Er setzte die Puppe an das Ufer eines Teiches im Garten, wo der Herrscher spazieren zu gehen pflegte. Die Puppe konnte aus einer Entfernung mit Schnüren bewegt werden. Als nun der Raja wieder einmal mit seinem Minister in den Garten ging, sah er den Prinzen am Ufer des Teiches sitzen. Indem er sich wunderte, wieso sich sein Sohn dort aufhielt, sah er, daß der Prinz in den Teich stürzte. Der Raja konnte diesen herzzerreißenden Anblick nicht ertragen und sprang eilends nach, um seinen Sohn vor dem Ertrinken zu bewahren. Doch zu seiner großen Überraschung stellte er fest, daß es eine Puppe war und nicht sein Sohn. Er verlangte von dem Minister eine Erklärung, welcher untertänig erwiderte, diese Posse sei gespielt worden, um die Wahrheit dessen zu beweisen, was er vor einiger Zeit im Hinblick auf Gott gesagt habe, nämlich daß Er selbst herabkomme, um Seine Kinder in kritischen Augenblicken zu erretten.

Wir alle sind Kinder Gottes, durch Ihn geschaffen nach Seinem Bilde. Die Seele im Menschen ist vom gleichen Wesen wie Gott. Kabir sagt: «Die Seele, obwohl verkörpert, bildet doch einen entscheidenden Bestandteil des alles durchdringenden Geistes, der das Universum belebt.» Sie ist nichts anderes als ein Tropfen aus dem Meer allen Bewußtseins. Auf der physischen Ebene von dem begrenzten Beiwerk des Gemüts und der Materie umgeben, haben wir uns so völlig mit der Welt und allem, was weltlich ist, gleichgesetzt, daß wir unseren wahrhaft göttlichen Ursprung vergessen haben. Die natürliche Folge dieses Vergessens ist Kummer und Leid. Das physische Leben ist nur Trübsal, erklärte Buddha, der Erleuchtete. Wenn der stets liebende Vater die kläglichen Schreie Seiner Kinder nach einem Ausweg aus diesem zauberischen Irrgarten der Welt hört, kann Er nicht anders, als in Gestalt eines Menschen herabzukommen, um die verlorenen Schafe wieder in Seine Herde zurückzubringen.

Gott ist der Guru der Seele, denn die Seele ist wesenseins mit Ihm. In großer Not ruft sie um Hilfe, und Er kommt zu ihrer Errettung. In tiefer Seelenpein sehnt man sich nach einem Weg im Leben, dem Wort oder der Gotteskraft, die sich in der Form eines Gottmenschen materialisiert, man nenne ihn, wie man will. Er kommt, um alle mögliche Hilfe zu geben und die Weltmüden und Verzweifelten zurück in Sein Reich zu führen. Wir sind auf Probe in dieser Welt. Wenn es an der Zeit ist, trifft Gott durch Seine Auserkorenen oder Erwählten Vorsorge, um eine geistige Verbindung mit Ihm herzustellen. Nanak gab eine wunderbare Beschreibung der Seele, die unter Trennungsschmerzen leidet: «Da die Seele den wahren Urgrund des Lebens vergessen hat, klagt sie im Zustand fortwährender Täuschung über ihr Los.»

Bei unserem Abgleiten zur irdischen Ebene haben wir das «Selbst» in uns derart mit den Hüllen des Gemüts und der Materie verschiedener Dichtigkeitsgrade umgeben, wie sie den jeweiligen kausalen, mentalen und physischen Seinsebenen eigen sind, daß wir dem Selbst gänzlich verloren gingen und endlos in der Täuschung des gewaltigen Labyrinths der Welt umherstreifen. Trotz kurzen vorübergehenden Erwachens neigen wir dazu, durch die Macht der Gewohnheit, welche uns zur Natur geworden ist, irrezugehen. Unsere Situation kann mit der einer Frau verglichen werden, die von ihrem Mann verlassen wurde und nun zu ihren Eltern zurückkehrt, dort lebt und nicht mehr an ihren Mann denkt. Dieser mag sie weiterhin lieben, aber sie weiß nichts davon, noch will sie ihre eigenen schwachen Seiten zur Kenntnis nehmen, welche unausweichlich die Trennung zwischen ihnen herbeiführte. Wie sehr auch die Eltern sie mit allen Annehmlichkeiten versorgen, ist sie doch verstoßen. Wie anders sähe es aus, wenn sie sich bessern wollte, um ihres Mannes wert zu sein. Die meisten von uns befinden sich in einer solch mißlichen Lage.

Wir sind alle Kinder von Gottvater, dem Gott aller, und unsere Seelen sind ihrem Wesen nach eins mit dem göttlichen Prinzip, welches das Universum erhält. Der Herr selbst ist der Gemahl aller Seelen, aber wie traurig ist es, daß wir, während wir hier auf der physischen Ebene im Exil sind, Ihn ganz und gar vergessen haben und, obwohl wir mit Ihm im gleichen Körper wohnen, keine Gelegenheit fanden, Ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Wir sind von Gott getrennt, denken nicht mehr an unsere wahre Heimat und haben uns durch die dauernde Verbindung mit Gemüt und Materie gänzlich im Genuß der Sinnesfreuden verloren. Wir sind stets eine Beute für alle Arten von Todsünden. Wie eine Spinne sind wir unentwirrbar im Netz von Lust, Ärger, Habsucht und Verhaftetsein gefangen und von dem sich ständig behauptenden Ego besessen, was alles zusammenwirkt, um uns weiter von Gott wegzubringen.

Wir können zwischen zwei verschiedenen Wegen wählen. Es gibt eine Art von Menschen, die an ein Leben weltlicher Freuden glaubt – eßt, trinkt und seid fröhlich! Sie sind noch übler als jene, die nur nichts von ihrem wahren Selbst und von Gott wissen und ein ruhiges Leben seliger Unwissenheit führen. Die ersteren sind in einer bemitleidenswerten Lage. Sie scheinen sich des Daseins zu erfreuen, aber für wie lange? Die Freuden der Welt sind nicht beständig; sie vergehen wie der Rauch und lassen einen physisch, mental, moralisch und spirituell als Wrack zurück. Die Wonne, die man von der Liebe des Herrn erhält, kann man nirgendwo sonst bekommen, auch nicht von den Eltern und anderen, die euch lieb und teuer sind und welchen ihr so unbekümmert vertraut. Sollte dieses Erwachen in euch aufdämmern, werden Freunde und Verwandte wie Todesboten aussehen. Wenn wir fähig sind, eine solche Verfassung in uns herzustellen, ist es nur natürlich, daß der Herr, der bereits in uns ist, der Seele hilft und sie erhält, ganz gewiß auf unsere Klagen voll des Schmerzes und der Qual achten wird. Mit den Worten Guru Nanaks bricht es aus der Seele hervor:

 

O mein Geliebter, höre auf meine
sorgenvolle Geschichte.
Während Du glücklich in Deinem immer
wonnetrunkenen Zustand begründet bist,
bin ich in einer Form aus Lehm
gefangen und begraben.

 

Alle Meister erklären dasselbe. Soamiji sagt: «O Geist, du wurdest ein Strahl der ewigen Wahrheit.»

Die Seele in uns ist ein Sproß von königlichem Blut. Sie hat eine glorreiche Herkunft. Aber leider hat sie sich durch die dauernde Verbindung mit dem Gemüt und den Sinnen in diese erbärmliche und erniedrigende Situation gebracht. Das Gemüt ist fürwahr der Wohnsitz der Sinnesfreuden; die verschiedenen Sinnesorgane sind voller Schmutz, und wir, durch die Lüste des Fleisches ganz verblendet, sehen nicht, was unter der Oberfläche liegt. Wenn sich die Seele ihrer wahren Heimat, der Heimat ewiger Wonne und immerwährenden Seins bewußt würde, strebte sie natürlich danach, dorthin zurückzukommen; ein qualvoller Schrei aus der Tiefe des Herzens wird zweifellos den Herrn der Barmherzigkeit rühren. Es ist nichts als ein ernsthaftes Gebet, eine demütige Bitte des zerrissenen und gequälten Geistes, was Sein Mitleid zu erregen weiß. Doch unsere Aufmerksamkeit geht die ganze Zeit durch die neun Tore des Körpers – Augen, Ohren, Nasenlöcher, Mund, Rektum und Zeugungsorgan – nach außen und abwärts, ohne daß wir von der zehnten Öffnung oder dem Zentrum im Kopf wissen, das uns einen inneren Zugang zum Reich Gottes verschafft. Wie sehr wir auch immer versuchen mögen, aus dem Körper zu entkommen, es gelingt uns nicht, weil wir von der großen Kraft Gottes, die uns überwacht – dem heiligen Wort oder Naam – abhängig sind, worüber wir noch nichts wissen.

 

O Nanak, alles ruht in Naam,
aber erst wenn die Zeit reif ist,
kommt man mit ihm in Berührung.

 

Es ist die wirkende Gotteskraft (das heilige Wort), die alles, was sichtbar und unsichtbar ist, kontrolliert und erhält. Einer, der diese hohe Wahrheit erkennt, kann nicht umhin, auf der Suche nach ihr ruhelos umherzuwandern. Alle großen Seelen haben eindringlich von dieser bedeutsamen Lebenskraft gesprochen. Maulana Rumi sagt:

 

Schäme dich, der du den Himmel zur wirklichen
Wohnstatt hast und dennoch mit wesenlosen
Formen und Farben glücklich bist.
Wie lange willst du im Schmutz spielen
und wie Kinder das Leben vergeuden?

 

Bitte merkt euch, daß das Herz, welches durch dieses Erwachen zum inneren Leben aufgerüttelt wird, sich allmählich danach zu sehnen beginnt.

Dieses Sehnen in ihm nimmt im Laufe der Zeit so sehr den Charakter einer vorherrschenden Leidenschaft an, daß es Tag und Nacht kläglich fleht, bis Gott, das große Meer der Barmherzigkeit, in Seinen innersten Tiefen gerührt wird und Vorkehrungen trifft, für einen Weg aus diesem Zauberhaus des Körpers heraus, um das Herz zu sich zu ziehen. Dies ist also die Kraft eines Gebets, das sich aus dem Herzensgrund erhebt.

Was soll ich sagen, und an wen soll ich mich wenden? Es ist der Schrei einer verwirrten Seele, wenn sie zu sieh selbst findet. Sie sucht umher und sieht nirgends einen Trost Als letzte Zuflucht ruft sie Gott den Herrn an, den wahren Tröster, unser aller Erretter. Das Gebet ist, wie ihr wißt, die letzte Waffe in der Rüstkammer des Menschen und auch die wirksamste. In diesen leidvollen, verzweifelten Augenblicken kommt die Hoffnung und erhellt den Weg. Sodann erscheint die Gotteskraft in Gestalt eines Gottmenschen und sagt: Folge mir nach. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Ich bin der unvergängliche Weg, die unfehlbare Wahrheit, das ewige Leben. Ich bin der erhabenste Weg, die letzte Wahrheit, das wahre Leben, gesegnet und unerschaffen.

Aber wann hat Gott Erbarmen und erscheint in der Form eines Meisters? Die Antwort ist sehr einfach. Der Meister kommt nur zu Hilfe, wenn man allen Lüsten des Fleisches entsagt.

Christus versprach selbst den schlimmsten Sündern Vergebung, wenn sie künftig vom üblen Tun ablassen würden. Er gebot seinen Anhängern Einhalt, zog einen Strich unter die Vergangenheit und gab den Rat: «Sündige hinfort nicht mehr.» Tulsi Sahib sagte ebenfalls: «Macht euch Wahrhaftigkeit, Demut und Achtung vor der Weiblichkeit zu eigen, dann werdet ihr Gott erreichen; ich verbürge mich dafür.»

Eine solche Seele bittet:

 

O du, der du Zutritt zum Reich Gottes hast,
überbringe die Botschaft eines Verbannten,
sage Ihm, Er möge sich des erbarmen,
der allezeit mit Tränen in den Augen wartet.
Dich tränenvollen Auges zu lobpreisen
und selbst nichts anzubieten haben,
wie kann ich da dem geliebten Herrn näher kommen?

 

So ruft die Seele in ihrer Pein über das Getrenntsein vom Herrn die göttlichen Boten an, die freien Zutritt zu seinem Reich haben, und sucht ihre Hilfe in dieser traurigen Lage.

Die Seele erklärt nun ihre Unfähigkeit, den Pfad, der zu Gott führt, zu erreichen, von dem ihr jede Kenntnis fehlt, und bringt darum ihre Hilflosigkeit durch den Erwählten Gottes zum Ausdruck. Dem Regen gehen immer Wolken voran. Gottes Gnade kommt herab, wenn die Seele in tiefster Qual liegt und ganz verwirrt, die Augen voller Tränen und mit einem in Liebe klopfenden Herzen, klagt. In der Sprache der Mystik wird dies die dunkle Nacht der Seele an der Schwelle der Glückseligkeit genannt.

 

Die heiligen Bücher
dienen dem Meister als Hilfen,
und wenn man ihm folgt,
wird man ins Jenseits gebracht.
Wenn sich nicht eine Meisterseele
auf der Erde verkörpert,
kann niemand den wahren Sinn
der Bücher erfahren.

Gurbani

 

Obwohl das göttliche Prinzip des Lebenslichts in allen Menschen gegenwärtig ist, schlummert es, bis es wieder aktiviert wird. Und wer tut das? Der, welcher es in sich selbst enthüllt hat, kann es auch uns offenbaren. Hierin besteht die Kompetenz eines Satgurus – eines auserwählten Menschen, in dem die Kraft Gottes zum Segen der Menschheit wirkt. Nennt ihn einen Menschen in Gott oder Gott im Menschen, es ist ein und dasselbe. So führt Gott Seinen Erlösungsplan aus. «Niemand kommt zum Vater denn durch mich», sagte Jesus. Und Ferner: «Niemand kennet den Vater denn der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren.» Der Meister oder Gott im Menschen erscheint erst, wenn der Schüler bereit ist, heißt ein uraltes Sprichwort. «Der barmherzige Vater hat verfügt: Gebt meinen Kindern, was immer sie wünschen.»

Wenn wir mit aller Aufrichtigkeit nach Gott verlangen, gibt es keinen Grund, warum Er nicht Mittel und Wege schaffen sollte, sich selbst zu offenbaren. Es gibt immer Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, muß Sauerstoff zu Hilfe kommen, damit es nicht ausgeht. Christus sagt: «Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.» Ähnlich steht im Koran: «Worum immer mein Kind bittet, das soll ihm gewährt werden.» Hier müssen wir für eine Weile innehalten und prüfen, worum wir bitten. Wir bitten Gott nie um Gott. Wir bitten Ihn um Erfolg in unseren weltlichen Bestrebungen, damit wir im Leben vorwärts kommen, um Name und Ruhm, Befreiung von Krankheit und dergleichen mehr. Kurz, wir bitten um weltliche Dinge, und sie werden gegeben, sei es jetzt oder in der Zukunft. Dadurch ist das Rad des Lebens immer in Bewegung. Wenn wir um Ihn bitten, wird Er selbst in die Welt kommen, und wir müssen nicht auf der sich stufenweise entwickelnden Suche nach Ihm immer wieder geboren werden. Er wird, wie König Parikshat, den entscheidenden Schritt selbst tun, denn so will es das Gesetz. Der Mensch ist der Lehrer des Menschen. Auch Gott muß eine menschliche Form annehmen, um die Menschen zu lehren. Seine Kraft und Glorie strahlen vom menschlichen Pol aus, über den Er zur Erhebung der Menschheit wirkt Das sind die erwählten Wenigen oder Auserwählten, die von Zeit zu Zeit, entsprechend dem dringenden Erfordernis der Stunde und des Ortes, in Erscheinung treten. Mein Meister pflegte zu sagen: Gleiches zieht Gleiches an, und so ist es allein Gott im Menschen, der die menschliche Seele führt.

 

Solltet ihr das Glück haben,
einen wahren Meister zu finden,
dann übergebt ihm alles
ohne irgendwelche Bedenken.

Gurbani

 

Begegnen wir einem kompetenten Meister, haben wir unsern Teil zu tun. Im allgemeinen gibt es bei uns drei Arten geistiger Vorbehalte, und diese stellen für unseren Fortschritt ein unbedingtes Hindernis dar. Wir legen unseren Stolz nicht ab, den Stolz auf Körper, Besitz und Reichtum und schließlich den auf intellektuelle Kenntnisse, die jeweils im Zusammenhang stehen mit tan (Körper), man (Gemüt) und dhan (Reichtum). Das ist der Grund, warum mit Nachdruck betont wurde, alles zu den Füßen des Meisters niederzulegen. Es mag jedoch beachtet werden, daß ein wahrer Meister nichts von diesen Dingen braucht, nicht das geringste. Es bedeutet lediglich, daß sie als seine Gaben anzusehen sind und als ein von ihm anvertrautes heiliges Gut bewahrt und bestmöglich genutzt werden müssen, um für den Ausgleich karmischer Schulden sowohl den Kindern und der Familie zu dienen als auch der Gesellschaft und dem Land, den wirklich Bedürftigen und Notleidenden, den Kranken, Hungernden und Dürstenden. Die Handlungen, welche im Geist eines dem Meister geweihten Werkzeugs ausgeführt werden, haben schwerlich irgendeine bindende Wirkung für euch, und ihr werdet leicht und mühelos dem sonst unerbittlichen Gesetz des Karma – was du säst, das wirst du ernten – entgehen. Dies wird euch in all euren Handlungen – körperlicher, geistiger und moralischer Art – spirituell rein machen. Es wird euch mit wahrer Demut und einem Geist selbstlosen oder uneigennützigen Dienens erfüllen, was alles für den Pilger auf dem Pfad der Liebe so sehr nötig ist

 

Voll der Kraft Gottes,
verteilt der Meister das heilige Wort.

Gurbani

 

Wenn wir uns selbst von den Bindungen an alle geschaffenen Dinge befreien und unseren Willen im göttlichen Willen des Meisters aufgehen lassen, nimmt das heilige Wort, das bereits in uns ist, in unserem Bewußtsein die erste Stelle ein. Es wird, mit anderen Worten, offenbart und kann durch die wirkliche Verbindung praktiziert werden.

Raja Janaka berief einmal eine Zusammenkunft aller Pandits und religiösen Führer des Reiches ein und fragte, ob ihm irgend jemand in dieser erlauchten Versammlung die göttliche Verbindung geben könne, aber keinem war das möglich außer Yagyavalkya, der nur die Theorie der Spiritualität erklären konnte, aber nicht in der Lage war, einen praktischen Beweis zu geben. Etwas später wurde für denselben Zweck eine weitere Konferenz dieser Art einberufen, und der König wünschte, daß irgendeiner vortreten solle, der fähig sei, eine direkte, unmittelbare innere Erfahrung zu geben, und zwar in einer so kurzen Zeit, wie man sie braucht, um ein Pferd zu reiten. Das wurde dem König tatsächlich durch den Weisen Ashtavakra gewährt, einen seltsam mißgestalteten Menschen mit acht Höckern an seinem Körper, was sein Name anzeigt. Darin liegt die Größe eines kompetenten lebenden Meisters. Es ist also leichter gesagt als getan. Da mögen viele sein, die gelehrte Reden halten, Schriften erklären, vedische Hymnen rezitieren und Epen erzählen können; aber nur eine vortreffliche Seele kann euch innen führen und augenblicklich einen Kontakt mit dem Lebenslicht in euch geben, dem Licht, das «in der Finsternis scheint und das die Finsternis nicht begriffen hat.» Ein wahrer Gottmensch ist der im Fleisch verkörperte Gott, das fleischgewordene Wort, wie es in der Bibel heißt. Tulsi Sahib hat gesagt: ((ich verehre einen Satguru, der mich in der kurzen Zeit von drei Stunden über das Körperbewußtsein bringen kann.»

Dies ist somit der Prüfstein, um einen wahren Meister zu beurteilen, denn andererseits gibt es keinen Mangel an sogenannten Meistern. Der kompetente Meister erklärt:

 

Es ist die magnetische Kraft des Gurus,
die ein Zurückziehen der Sinnesströme
vom Körper bewirken kann.

 

Gott wohnt in jedem Herzen. Sein Licht leuchtet darin und belebt den Körper, und in der Musik der Seele besitzen wir den Beistand für das Leben. Aber haben wir je diese rettende Lebensschnur erfahren: das Licht Gottes und die Stimme Gottes, durch welche alles, was existiert, erhalten wird? Ein wahrer Meister gewährt die tatsächliche Erfahrung einer direkten inneren Verbindung mit dieser rettenden Lebensschnur.

Wer kann demnach ein solches Wunder, das Wunder, uns mit der Musik der Seele zu verbinden, zustande bringen? Er allein vermag es, der selbst das verkörperte Wort ist, denn er ist von Kopf bis Fuß vom Wort durchdrungen.

Nun laßt uns den Preis betrachten, den man dafür zu zahlen hat:

 

Übergib deinen Körper, deinen Reichtum
und dein Gemüt dem Guru,
folge seinen Anweisungen unbedingt,
dann wirst du empfangen.

Gurbani

 

Als Raja Janaka um die Gotterfahrung nachsuchte, verlangte der Weise Ashtavakra von dem königlichen Schüler seinen förmlichen und üblichen Lohn als Lehrer und erhob Anspruch auf des Königs Körper, Gemüt und seinen ganzen Besitz. Da dem König alles daran lag, die höchste mystische Erfahrung zu erlangen, stimmte er dem bereitwillig zu. Daraufhin gebot ihm der Weise, von seinem Thron herunterzusteigen und sich an das andere Ende des Hofes zu setzen, gerade dorthin, wo die Schuhe der Höflinge standen. Das freilich war zu viel für den König, aber da er sich verpflichtet hatte, Körper, Gemüt und alles andere dem Guru zu übergeben, konnte er nicht umhin, die Anordnungen zu befolgen. Nicht genug damit, daß der Weise dem Raja vorschrieb, wo er zu sitzen hatte, mußte er auch noch vor seinem Hofstaat bekräftigen, daß er den niedrigsten Platz innehabe. Die Absicht des Gurus war, aus dem Gemüt seines Schülers den Stolz auf Rang und Namen zu vertreiben. Nachdem dies geschehen war, hieß er Janaka, sich nicht mit dem weltlichen Besitz, Reichtum und Wohlstand zu befassen, was nun sein (des Gurus) war – und sich auch nicht gedanklich damit zu beschäftigen, denn es gehöre nicht länger ihm (Janaka), da er alles seinem Guru gegeben habe.

Als Janaka auf seinen früheren Prunk und Glanz blickte und die Stimmen seiner Höflinge hörte, war er verwirrt. Um all dem zu entfliehen, schloß er seine Augen und Ohren. Aber die Macht der Gewohnheit ist in der Tat schrecklich. Obwohl er weder hinsah noch hinhörte und sich alle Mühe gab, die Gedanken unter Kontrolle zu halten, war sein Gemüt noch bei all jenen Dingen – den Palästen, Höflingen, dem königlichen Pomp und Gepränge, seinen Königinnen und Kindern. Auf die Frage nach seiner geistigen Verfassung antwortete er dem Guru, daß sein Gemüt gegenwärtig wie ein Vogel sei, der auf dem Mast eines Schiffes, das auf hoher See ist, sitzt und wieder und wieder zu fliegen versucht, aber auf den Wassern keinen Ruheplatz findet und so zum Mast zurückkehrt. Der Guru hieß ihn dann, alle mentalen Vibrationen einzustellen, weil das Gemüt, das diese Gedankenwellen projiziere, nicht mehr das seine (Janakas) sei und es ihm darum auch nicht obliege, es zu benutzen.

Die Worte wirkten, und Janaka empfand sogleich eine geistige Leere in sich; denn durch seine Gedankenkraft zog der Rishi das Bewußtsein des Schülers aus dessen körperlicher Form in das große Jenseits über der Sinnesebene. Das ist es, was ein wirklich kompetenter Meister tut. Er gibt mit Hilfe der Konzentration eine praktische mystische Erfahrung, nachdem das Gemüt des Schülers der Welt und allem, was weltlich ist, allmählich entwöhnt wurde, sammelt die Sinnesströme des Körpers am Augenbrennpunkt und hält sie dort für eine Weile fest

Gott ist, wo da nichts ist. Wir müssen das Selbst in uns befreien, indem wir es des Persönlichen oder der Kennzeichen des körperlichen Beiwerks von Gemüt und Materie entledigen, ehe wir eine spirituelle Erfahrung erhalten können. Der Guru braucht nicht euren Körper, Gemüt und Besitz. Alles bleibt bei euch, wie zuvor, aber ihr werdet tausendfach bereichert, indem er euch mit subtilen spirituellen Schätzen von unvergleichlichem Wert ausstattet. Wir müssen dem Fleisch um des Geistes willen entsagen, denn «Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben.» «Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden», erklärte Christus. Wir müssen in der Tat zwischen den beiden wählen: dem Leben des Fleisches und dem Leben des Geistes. Das heißt nicht, daß wir unseren Verpflichtungen und unserer Verantwortung ausweichen und in die Einöde gehen sollten. Wahrer Verzicht bedeutet, sich innerlich zu lösen und von allem, was Gott uns zu treuen Händen gegeben hat, den rechten Gebrauch zu machen, so wie es jeder Beauftragte für seinen Vorgesetzten tun würde.

Dies ist der Preis, um die Gottheit zu erlangen, und er muß ohne jeden Vorbehalt gezahlt werden. Während ihr inmitten der Fülle lebt, betrachtet alles, einschließlich eures Körpers und Gemüts, als dem Guru gehörig und setzt es nie zur Befriedigung der Sinne ein. Je mehr ihr euch von der Liebe zu den geschaffenen Dingen freimacht, in desto stärkerem Maße werdet ihr von der Liebe Gottes erfüllt und wahrlich in engere Verbindung mit dem heiligen Wort kommen.

Wenn wir also ernstlich die göttliche Seligkeit erflehen, kommt uns Gott eilends in der Gestalt eines lebenden Meisters zu Hilfe, denn so will es das Gesetz. Als Christus einmal gefragt wurde, wohin er gehe, antwortete er:

«Und ich habe noch andere Schafe, . . . und dieselben muß ich herführen . . .»

An einem Junitag war ich gerade bei meinem Meister in Beas. Da das Wetter drückend heiß und schwül war, legte ich Hazoor nahe, einige Zeit in Dalhousie (einem Kurort in den Bergen des Punjab) zu verbringen. Lächelnd antwortete er: «Sieh, Kirpal Singh, die Leute denken vielleicht, daß ich zu meiner eigenen Annehmlichkeit in die Berge gehe. Aber dem ist nicht so. Ich tue es in der Hoffnung, daß noch einige verirrte Seelen genügend aufgeschlossen sind, die Botschaft des Herrn zu hören, bereit, den Weg zu Gott zurückzugehen. Mir persönlich machen Hitze oder Kälte nicht das geringste aus.» Solche Meisterseelen durchforschen die Welt auf der Suche nach uns, nicht umgekehrt, wir nach ihnen. Sie kommen hierher in einer göttlichen Mission, um jene herauszufinden, die für den heiligen Pfad bestimmt sind, oder solche, die weltmüde und schmerzlich nach einem Ausweg rufen.

Diese irdische Ebene ist ein riesengroßes Gefängnis. Sie ist nicht die wahre Wohnstatt der reinen Seele. Sie ist nur vorübergehend da, bis sie wieder mit dem göttlichen Gemahl versöhnt und aus dem aufgezwungenen Exil hier zurückgerufen wird. Wenn immer eine Seele in einem fremden Land unter der Trennung leidet, plant Gott für sie einen Ausweg, und dies mit der Hilfe eines Heiligen, der Gott verwirklicht hat und von der unsichtbaren Gotteskraft erfüllt ist, einer lebendigen Verkörperung des göttlichen Wortes:

 

Der Satguru selbst ist der unbefleckte Eine,
wenn auch in menschlicher Gestalt.

 

Wieder heißt es:

 

Der Diener Gottes ist Gott gleich,
ungeachtet seines physischen Gewandes.

Gurbani

 

Wir sind alle noch im Werden. Wir streben allmählich der Vollendung zu. Diese Welt ist ein Übungszentrum mit diesem Ziel. Leid ist der beste Lehrer. Es erweckt in uns ein Verlangen, die Begrenzung des Fleisches zu überschreiten, so daß wir einen Zustand erreichen, wo vollkommene Ruhe herrscht Wenn immer wir uns in unserem Kampf hilflos fühlen, und wir fühlen uns in vieler Hinsicht hilflos, rufen wir nach der unsichtbaren Hand Gottes um Beistand; dadurch wird die Kraft Gottes bewegt Ein Gottmensch, mit Seiner Kraft ausgestattet, begegnet uns, tröstet uns in der Not, bietet uns seine helfende Hand und hebt uns aus dem Sumpf der Verzagtheit heraus, er richtet uns wieder auf und erbietet sich, uns zu Gott zu führen.

Folglich ist ein Gottmensch nicht von dieser Welt, wie wir es sind, noch ist sein Geist wie der unsrige im Gefängnis des physischen Körpers gebunden. Eins mit der höchsten Gotteskraft, weiß er den Körper willentlich zu verlassen und sich in die spirituellen Reiche jenseits des Gemüts und der Materie zu erheben. Wirklich wunderbar ist das Haus, in dem wir wohnen. Es ist dem Menschen gegeben, die Grenzen des Fleisches hinter sich zu lassen und zu wirken, wo immer er will, in der materiellen Welt, der materiell-spirituellen, der spirituell-materiellen oder der rein spirituellen – ungleich allen anderen Geschöpfen, die nur an den Körper gebunden sind. Der Mikrokosmos ist nach dem Vorbild des Makrokosmos gestaltet

Aber im gewaltigen Wirbel der Welt haben wir unsere Fähigkeiten ganz und gar vergessen und sind dahin gekommen, unser großes Selbst mit dem physischen Kleid gleichzusetzen, ohne zu wissen, wie man sich über das Körperbewußtsein in das kosmische und überkosmische Bewußtsein erhebt.

Ein gottbegnadeter Mensch erinnert uns nicht nur an unsere großen Entfaltungsmöglichkeiten, sondern gibt uns eine Erfahrung davon, wobei es keine Rolle spielt, auf welcher Ebene, und ermutigt uns, diese in jedem beliebigen Ausmaß zu entwickeln. Er sagt uns mit wenigen Worten: Lerne zu sterben, so daß du zu leben beginnen kannst. Wir sind wirklich ein Tropfen aus dem Meer des Bewußtseins. In der Begrenzung der Sinne, eifrig in die Freuden der Sinnesobjekte vertieft und vom Gemüt umgeben, sind wir unserem wahren Selbst verloren; gerade wie das sprichwörtliche Löwenjunge eines Schäfers, das er in der Herde seiner Schafe und Ziegen aufgezogen hatte, wie Hazoor es so klar veranschaulichte. Ein Löwe, der des Weges kam, war sehr betrübt, das Junge Gras und Kräuter fressen zu sehen. Er hatte Mitleid mit dem Jungen, so nahm er es zu einem Wasserteich mit, zeigte ihm sein Spiegelbild darin, das dem seinen glich, und riet ihm, gemeinsam mit ihm zu brüllen. Kaum hatten sie dies begonnen, liefen der Schäfer und die Herde Hals über Kopf davon und ließen ihren früheren Gefährten in der Gesellschaft des Löwen zurück. Desgleichen erinnert uns ein Meister-Heiliger an unsere wirkliche Größe, hilft uns aus unserem scheinbaren Wohlbehagen heraus und stellt uns auf den Weg zur Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis.

Gott ist die Seele des Universums. Es war Sein Wille, sich in vielen Formen verschiedener Muster und Farben zu offenbaren. Von einem einzigen Strom Seiner Kraft kamen unzählige Schöpfungen ins Sein. Auch die Seele in uns hat zahlreiche Fähigkeiten, gibt sich jedoch äußeren Bestrebungen hin. Meister-Heilige empfehlen uns, die nach außen gehenden spirituellen Ströme nach innen zu lenken und an einem Zentrum, dem Augenbrennpunkt, zu sammeln. Sie geben uns eine Erfahrung vom Zurückziehen der Lebenströme. Durch die tägliche Praxis bilden wir im Laufe der Zeit eine Gewohnheit, die uns zur zweiten Natur wird. Surdas sagt: «Sowie man immer weiter geht, folgt das Gemüt nach.»

Wir möchten das tun, haben aber nicht die Willenskraft dazu. Wir brauchen einen kompetenten Meister, der uns auf dem Pfad hilft – einen, der das Menschliche in sich überschritten hat und zum Sprachrohr Gottes wurde. Nanak sagt: «Nanak öffnet seinen Mund nur, wenn man es ihn zu tun heißt.» In ähnlicher Weise erklärt Christus: «Ich tue nichts von mir selber, sondern wie mich mein Vater gelehrt hat, so rede ich.»

Ein Meister-Heiliger gibt dem menschlichen Geist, welcher unter der schweren Last von Gemüt und Materie erstickt, durch seinen eigenen Lebensimpuls den Weg frei und einen Schimmer vom Pfad nach oben. Wir sind ebenfalls mit dieser Kraft ausgestattet, doch hilflos, weil unsere Lebensströme in jedem Augenblick nach unten und außen in die Welt der Materie fließen, zu allem, was stofflich ist. Ein kompetenter Meister zieht wie ein starker Magnet die Geistesströme empor und magnetisiert sie zu einer lebendigen und bewußten Seele. Wir wohnen in diesem Körpertempel mit dem Geist Gottes zusammen.

Die menschliche Seele ist wie ein überladener Esel, mit der schweren Last von Karmas aus der Vergangenheit. Ohne Erinnerung daran und indem sie täglich mehr und mehr Karmas anhäuft, steckt sie tief im Sumpf des Sinnenlebens. In dieser traurigen und jammervollen Lage ist es nahezu unmöglich, auch nur einen einzigen Schritt vorwärts zu tun, wenn sich nicht ein gütiger Gottmensch erbarmt, die drückende karmische Last erleichtert und uns aus dem Treibsand des Lebens herauszieht. Wir sind zum Überlaufen voll von Gedanken an die Welt und allem, was weltlich ist; dabei so sehr an Händen und Füßen gefesselt, daß wir unmöglich einen Ausweg finden können. In dieser kläglichen Situation äußerster Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit brauchen wir einen starken Freund, der uns beistehen kann und uns in seiner Gnade Mut und Beharrlichkeit einflößt. Durch seine konzentrierte Aufmerksamkeit fördert er bei einer einzigen Meditation eine Versammlung von zehn, zwanzig oder Hunderten von Menschen und gibt allen eine praktische innere Erfahrung, wie sie der Weise Ashtavakra dem Raja Janaka gab. Es ist das Werk eines in Gott ruhenden Heiligen, der uns instand setzt, über das in sich selbst befangene Ich hinauszugelangen, um Zeuge des hellen Lichts der Leere (des Jenseits) zu werden. Mit dieser Anfangserfahrung können wir unser inneres Leben entwickeln, das bei jedem Schritt neue Ausblicke auf die zahllosen Bereiche des Jenseits freigibt. Da er in der Gotteskraft verankert ist, verliert er nichts, wenn er seinen Lebensimpuls übermittelt. Das Meer erleidet keinen Verlust, würden auch Millionen Geschöpfe aus ihm trinken, um ihren Durst zu löschen. Die Yogis, Munis und Rishis hatten trotz all ihrer jahrelangen, mühsamen Praktiken nie einen Schimmer des inneren Lichts. Doch ein wirklich großer Weiser kann durch seinen wohlwollenden Blick die innere Schau öffnen. Im Matthäus-Evangelium steht: «Wahrlich, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört.»

Ich erinnere mich, wie einmal mein Sohn, als er vier oder fünf Jahre alt war, mit mir zu Hazoor ging und um Initiation bat. Hazoor gab ihm einige Süßigkeiten, und so war er zufrieden. Als er das nächste Mal wieder mitkam, bat er um die Gabe, welche sein Vater erhalten habe. Hazoor nahm ihn ins Haus, setzte ihn vor sich hin und hieß ihn, sich zu konzentrieren und nach innen zu schauen. Sogleich sah der Knabe einen mit Sternen besäten Himmel; Hazoor bat ihn, die Augen zu öffnen und bemerkte, daß es auf dieser Stufe genug sei. Der Junge kam herausgelaufen und sagte, daß er Naam bis zu den Sternen erhalten habe, und fragte, bis zu welcher Stufe ich geführt worden sei. Hierin liegt die Größe eines Heiligen.

Während er sich in ätherische Regionen erhebt, bleibt er den gleich-gestimmten Orten des Himmels und der Erde treu, die wahrlich durch die Gotteskraft, welche in ihm in einer offenbarten Form wirkt, verbunden sind. Er ist der menschliche Pol, über den die unsichtbare Hand der Vorsehung wahrnehmbar am Werk ist. Wer immer mit ihm in Verbindung kommt und seine Weisungen uneingeschränkt befolgt, wird ebenfalls aus wertlosem Material in echtes Gold verwandelt. Der Meister ist in die Welt gesandt, um Seelen für das Reich Gottes zu erretten. Vom wortlosen Zustand wird das Wort Fleisch, um zur Erneuerung der Menschheit unter uns zu wohnen:

 

Es ist viel, daß der Mensch einst
Gott gleich geschaffen ward,
daß aber Gott dem Menschen gleichen
sollte, ist viel mehr.

 

Gott selbst kleidete sich in des
gemeinen Menschen Fleisch,
um schwach genug zu sein,
Leid zu erdulden.

John Donne

 

Eins mit der Gottheit, gibt uns ein wahrer Heiliger ein Ersthand-Wissen seiner Erfahrung mit dem Göttlichen. All die Schriften der verschiedenen Religionen sind nichts als schöne Berichte über die spirituellen Erfahrungen ihrer Verfasser mit Gott. In der Tat ist ein lebender Heiliger viel mehr als alle Schriften zusammen. Da er in direkter Verbindung mit der Gotteskraft steht, ist er imstande, Wissen von Gott unmittelbar weiterzugeben und wirkliche Erfahrung von der rettenden Lebensschnur zu gewähren. Er macht uns mit der genauen Bedeutung der alten Schriften vertraut Indem er die scheinbaren Unstimmigkeiten in Einklang bringt, legt er ein vollständiges Bild von der Wissenschaft der Seele dar, die trotz der sprachlichen Vielfalt aufgrund geographischer Verschiedenheiten und geschichtlicher Hintergründe immer die gleiche gewesen ist und sein wird.

 

Haltet euch an das wahre Zeugnis der Heiligen,
denn sie sprechen zu uns von ihren eigenen,
tatsächlichen Erfahrungen.

Gurbani

 

Es mag als unumstößliche Wahrheit angesehen werden, daß niemand die Größe eines Heiligen in vollem Maße erkennen kann. Bei all unserer Gelehrsamkeit und weltlichen Klugheit sind wir nicht in der Lage, uns auf seine Stufe zu erheben, noch viel weniger, von ihm zu wissen. Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Gottmenschen und dem gewöhnlichen Sterblichen. «Nanak hat den Guru gefunden, der die Herrlichkeit Gottes jenseits offenbarte.»

Guru Man erklärte, er habe das ganze Universum (Brahmand) durchforscht, aber keinen finden können, der seinem Meister (Guru Ramdas) an Größe gleichkäme. Guru Man sah in seinem Meister Gott selbst in die menschliche Form gekleidet. Wir, die auf der Sinnesebene leben, können die Bedeutung einer Meisterseele nicht verstehen. Aber jene, deren innere Schau geöffnet ist, wissen und sehen, was die Guru-Kraft wirklich ist. Maulana Rumi sagt:

 

Die Hand des Pir (Guru) ist nicht geringer
als die Hand Gottes. Sie ist von der Gottes-
kraft nicht getrennt Seine gnädige Hand
reicht über die sieben Himmel hinaus.

 

Da sich die Macht des Meisters bis zum höchsten Himmel erstreckt, folgen ihm die aufrichtigen Sucher nach der Wahrheit, wenn sie in der Gemeinschaft des Meisters sind. Der große Maulana beschreibt dies sehr schön in einem Gleichnis:

Eine kleine Maus lief auf der Erde, als eine in der Luft fliegende Taube sie erblickte. Diese fragte die Maus, wohin sie so schnell laufe. Die Maus antwortete, daß sie zu einer Pilgerreise auf dem Weg nach Mekka sei. Das kleine Geschöpf tat der Taube leid; sie schwang sich sogleich hinunter, ergriff die Maus mit ihren Krallen, flog mit ihr nach Mekka und setzte sie in den heiligen Bezirken nieder.

Unser Geist, der sich in den Fängen des Gemüts und der Materie verwickelt hat, kann dem Gefängnis nicht mit eigener Kraft entkommen und die rein spirituelle Region (jenseits von Pind, And und Brahmand der physischen, astralen und kausalen Ebene) erreichen, welche unsere wahre Heimat ist. Wie ich gerade sagte, ist es nicht möglich, einen durch schwere Last überladenen Esel aus einem schlammigen Sumpf zu befreien, wenn ihm nicht zuerst die Bürde abgenommen und er dann herausgezogen wird. Ähnlich ist es, wenn ein Sucher zum Meister kommt. Letzterer erleichtert ihm vorübergehend die Last des Gemüts mit Worten der Ermutigung und durch seine Aufmerksamkeit und läßt ihn die Dinge in ihrer rechten Perspektive deutlich sehen. Dann weist ihn der Meister an, für ein tatsächliches Experiment in das Laboratorium seines Körpers einzutreten; tut er das, so erhält der Schüler eine innere Erfahrung, die er durch tägliche Praxis zu entwickeln hat. Seine grundsätzliche Weisung für den Schüler ist, sich über das Körperbewußtsein zu erheben. Er sagt, wie er das machen soll, und hilft ihm dabei. Auf diese Weise zeigt er ihm einen Weg nach oben und zieht ihn aus dem Morast des Sinnenlebens heraus, in dem er seit endlosen Zeiten feststeckte, nachdem er seine wahre Heimat, den Garten Eden, verlassen hatte und sich selbst auf die Ebene des Gemüts und der Materie verbannte. Er kommt, um die spirituell kranke und leidende Menschheit zu heilen. Mohammed Iqbal, ein großer Urdu-Dichter des Punjab, sagt:

 

O unsichtbare Kraft, offenbare dich doch einmal,
damit ich dir Myriaden Grüße entbieten kann.

 

Wenn sieh solch ein mitleiderregender Schrei spontan aus dem Herzen erhebt, enthüllt sich die Gotteskraft, die alles durchdringt, in einer menschlichen Gestalt.

Wann nimmt das Wort oder die Gotteskraft den Mantel des Fleisches an? Das geschieht, wenn Gottes Kinder ruhelos nach Ihm verlangen. Beginnt das Kind zu weinen, holt ihm die Mutter ein Spielzeug. Weint es trotzdem weiter, bringt sie ihm noch eines und wieder eines; doch wenn es mit nichts zufrieden ist, läßt sie alles beseite, nimmt das Kind auf ihren Schoß und drückt es zärtlich an sich.

Haben wir in unserem Herzen ein echtes Verlangen nach Ihm, wird Er sich offenbaren, denn Er gibt acht wie ein liebender Vater und wartet brennend auf den Zeitpunkt, wo wir unsere Augen auf Ihn richten. So erscheint Er in Gestalt einer großen lebenden Seele, um Seine Kinder zu finden und sie in Seine ewige Wohnstatt, Sach Khand, den immerwährenden Sitz der Wahrheit zurückzuleiten. Es ist nahezu unmöglich, einen Gottmenschen und seine Größe zu erfassen, geschweige denn seine Kräfte – grenzenlos und unerklärbar, wie sie sind – zu beschreiben. Er ist lediglich ein Kanal für die Gotteskraft, damit sie in der Welt in offenbarter Form wirken kann, und dient als Vorwort zum Buch Gottes. In enger und lebendiger Verbindung mit ihm zu sein bedeutet, daß man Gott nahe ist Ohne ihn können wir unmöglich von Gott wissen und noch viel weniger in direkten Kontakt mit der Kraft Gottes kommen, die in jedem Menschen wirkt und die gesamte Schöpfung erhält Daher besteht die höchste Notwendigkeit, nach einer lebendigen Verkörperung dieser göttlichen Kraft zu suchen und mit ihr Fühlung aufzunehmen. Etwas von ihr zu wissen heißt, etwas über Gott zu wissen. Wenn sie der personifizierte Gott oder das fleischgewordene Wort ist, wird sie unsere Seele bestimmt anziehen, da sie gleichen Wesens ist wie Gott. Je mehr wir an ihn denken, desto mehr beginnen wir, ihn zu lieben und ihm ähnlich zu werden. «Wie man denkt, so wird man» ist ein wohlbekanntes Sprichwort.

Wenn Meister-Heilige auf die irdische Ebene kommen, werden die Menschen von der göttlichen Glut ihrer Augen und der beruhigenden Strahlung angezogen, die selbst von den Poren ihres Körpers ausströmt. Auf den ersten Blick scheinen sie nur würdevolle Herren zu sein. Doch sowie man ihnen näher kommt, findet man an ihnen etwas Überirdisches. Allmählich verwandelt sich dies in das Licht der jenseitigen Welt, das mit der Zeit einen Heiligenschein um sie bildet, bis sie um nichts weniger als Gott aussehen, denn man beginnt wahrzunehmen, daß die Gotteskraft in ihnen wirkt. Sie sind sodann der waltende Gott, verkörperte Offenbarungen des Absoluten, den niemand gesehen hat noch sehen kann. In einem Zustand göttlicher Trunkenheit sagt Bhai Nandlal, ein großer Dichter der Mystik: «Hier und in Zukunft opfere ich mich zu den Füßen meines schönen Geliebten.» Er fährt fort zu erklären, warum er das tut: «Keiner unter ihnen kann sich auch nur mit der Schönheit eines einzigen Haares von ihm vergleichen.»

Hafiz, ein persischer Mystiker, spricht in ganz ähnlicher Weise darüber:

«Sollte diese zauberhafte Schönheit von Shiraz (der Murshid) meiner Bitte entsprechen, würde ich allein für ein Mal auf seiner Wange die Reiche von Smarkand (damit sind beide Welten, hier und danach, gemeint) als Gabe darbringen.»

 

Wenn ich je eine Schönheit sah,
die ich mir wünschte und bekam,
war es ein Traum von Dir.

John Donne

 

Dies ist also die Gemütsverfassung, in welcher die Ergebenen über die wirklich großen Heiligen sprechen, denn sie erlangen durch einen einzigen ihrer Blicke eine ekstatische Trunkenheit, welche selbst Tausende von Fässern reinsten Weines nicht hervorbringen. Sie kommen, um den Dürstenden göttlichen Wein zu geben, indem sie ihren eigenen Lebensimpuls übertragen. Wie bedeutend die heiligen Bücher auch immer sein mögen, sind sie doch nur ein ganz blutleerer Ersatz für das Leben. Sie stellen ein wertvolles Schatzhaus der aufgezeichneten Erfahrungen ihrer Autoren dar, Erfahrungen, die sie auf der Suche nach ihrem inneren Selbst und nach Gott machten. Sie inspirieren und ermutigen uns natürlich, den Weisen und Sehern der Vergangenheit nachzueifern, aber die Lebenserfahrung, welche einem durch die Gnade eines kompetenten lebenden Meisters zuteil wird, kann durch sie nicht gegeben werden. Spiritualität läßt sich nicht lehren, aber von einer Seele, die von Gott durchdrungen ist, wie eine Infektion auffangen.

 

Ich sah die Kaaba (das Haus Gottes) sich
immer im Kreis um einen Durchgang zu einer
Straße drehen, in der ein Gottmensch lebte;
o Gott, was für ein Mensch ist er? Ist er
wirklich ein Mensch oder ein Zauberer, der
schwarze Magie betreibt?

Maulana Rumi

 

Man ist in der Tat erstaunt über solch ungewöhnliche Äußerungen. Aber sie beinhalten eine wunderbare Wahrheit Ein Gottmensch ist das Sprachrohr Gottes:

 

Gott selbst spricht durch einen Sadh
(einen Erleuchteten).

Gurbani

 

Wenn euch ein solcher Meister annimmt, verläßt er euch nie. Er ist immer bei euch, wo ihr euch auch befinden mögt. Er wird ein ständiger Freund und Gefährte sein, ein sicherer und unfehlbarer Führer in den unvorhergesehensten und verwirrendsten Situationen, auch nach dem vielgefürchteten physischen Tod, der alle weltlichen Verbindungen beendet. Selbst vor dem Richterstuhl Gottes erscheint er als Fürsprecher und leitet die Seele bei ihrer Aufwärtsreise, indem er alle bedrohlichen Fallgruben umgeht und Gefahren fernhält. Er verläßt die Seele nie auch nur für einen Augenblick, bis sie die Wohnstatt des Herrn erreicht und dort ihren Sitz sicher eingenommen hat. Er ist von Gott angewiesen, die verlorenen Schafe zu sammeln und in seine Herde zu bringen. Als Christus seine Aufgabe zu einem Teil erfüllt hatte, machte er eine weitere Bemerkung: «Und ich habe noch andere Schafe, . . . und dieselben muß ich herführen . . .» Wie ein guter Hirte hat jeder Heilige viele Schafe zu hüten, hier, dort und überall. Er geht von einem Ort zum anderen durch die Welt, um den spirituellen Bedürfnissen der hungrigen Seelen nachzukommen, ohne Rücksicht auf persönliche Härten und Entbehrungen, öffentlichen Spott und Rivalitäten sowie offene Verfolgung und Herabwürdigung. All diese schweren Prüfungen und Drangsale erduldet er, und aus welchem Grund? Nur, um den Hilflosen beizustehen, den gequälten Herzen Ruhe zu bringen und die Menschen auf dem Pfäd zur Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis auf eigene Füße zu stellen. Wir können nur gelegentlich und nebenbei einen flüchtigen Schimmer ihrer inneren Größe und Erhabenheit bekommen, wenn sie, wie Kabir, da und dort einen Hinweis geben: «Kabir kennt die göttlichen Mysterien sehr wohl; er kam mit einer Botschaft von Gott.»

Andere Heilige haben ähnlich gesprochen. Auch Hazoor gab solche Hinweise: «Wenn wir in die Welt kommen, bringen wir unseren Arbeitsstab mit. Sobald unsere Tätigkeit an einem Platz beendet ist, werden wir beauftragt, anderswo hinzugehen.» – «Es ist Sein Wille, daß Er sich nun den Amerikanern offenbart.»

Die menschliche Geburt ist ein Vorrecht von hohem Wert. Wir müssen das Beste daraus machen. Das Wichtigste sollte an erster Stelle stehen. Unsere höchste Pflicht ist, Gott zu erkennen. Wie können wir dies? Wir müssen uns mit einem befreunden, der Gott verwirklicht hat, damit er uns helfen kann, es ebenfalls zu tun. Die Kraft Gottes oder das Wort Gottes erstrahlt in dem, der lhn verwirklichte, in Fülle. Was ist schließlich Elektrizität? Können wir sie von der Glühbirne, durch welche sie leuchtet, trennen? Wenn eine Glühbirne ausbrennt, ersetzen wir sie durch eine andere. Die Elektrizität selbst erschöpft sich nie.

Die Christuskraft ist ewig und leuchtet von Zeit zu Zeit auf; um den Bedürfnissen der Menschen zu genügen. Wer immer mit der Christuskraft durch die Vermittlung des Erwählten Gottes in Berührung kommt und wo er auch sein mag, so ruht dieser Mittler nie, bis er das Gut seinem Herrn (Gott) übergeben hat. Wer möchte nicht das Elixier des Lebens finden und eine Seele sein, die ewig lebt? Die Menschen der Welt sind solange freundlich zu uns, wie wir ihren Interessen dienen. Sie verlassen uns einer nach dem anderen, wenn wir aufgrund von Bedürftigkeit, Armut und Not, langer Krankheit und Behinderung hilflos werden oder ihnen sonst von keinem Nutzen sein können. Selbst die sogenannten engsten Freunde und Verwandten, welche wir stolz als unser Eigen betrachten, stehen uns vielleicht nicht bis zum letzten Augenblick bei. Sie können uns auch nicht helfen, wenn wir im Todeskampf liegen und nach Atem ringen. Alles, was sie tun können, ist, für uns um einen leichten und raschen Weggang von der Welt zu beten. Darum brauchen wir einen, der hier und danach und überall, wo wir sein mögen, ständig bei uns ist: in den tiefsten Tiefen des Meeres, auf schneebedeckten Bergspitzen, im brennenden Wüstensand, hoch in der Luft, in dichten Wäldern, oder selbst vor dem Richterstuhl Gottes.

 

Ergreife das Kleid einer tapferen Seele,
einer solchen, die sich frei zwischen
Himmel und Erde bewegt.

Maulana Rumi

 

Wir brauchen einen Freund, der fähig ist, auf allen Seinsebenen zu wirken, so daß wir von den Anweisungen und der Führung, die er gibt, hier in diesem Leben wie auch im Leben danach auf den astralen, kausalen und spirituellen Ebenen Vorteil haben können; und der uns schließlich zur Heimat unseres Vaters bringt. Wer nun vermag dies alles? Kein anderer als Gott selbst, und Er ist der wahre Führer und Meister:

 

Einen, der von Anfang bis Ende über allem steht,
den nehmt als euren Führer und Freund.

 

Auch Soamiji sagt:

 

Der Herr der Seele ziert die irdische Ebene
im Gewand eines Sterblichen, um die Menschheit
zu Gott zu geleiten.

 

Einmal kam Sahibji Maharaj von Agra nach Beas und wählte für seinen Vortrag die Hymne, welche mit eben diesem Vers beginnt. Er fragte Hazoor, ob es in den Sikh-Schriften irgendwelche Steilen gäbe, die damit übereinstimmten. Hazoor zeigte verschiedene Verse mit ähnlicher Bedeutung auf, von denen ich euch einen nennen möchte:

 

Der dich hierher sandte, ruft dich nun zurück;
begib dich wieder in Seine ewige Heimat, und lebe in Frieden.

 

Solche gütigen Seelen kommen von weither; fürwahr aus dem Schoß Gottes. Sie haben eine göttliche Weisung. Warum kommen sie? Es ist Sein Wille, lautet die einzige Antwort, die sie geben. Von Einem gingen alle Dinge aus, gemäß dem göttlichen Willen. Wenn sie auf die Erde kommen, halten sie sich an die Gesetze des Landes, in dem sie zu der Zeit wirken. Wir auf der Erde tun das gleiche und leben dementsprechend. Aber wir sind hier durch die Zeiten hindurch, seit wir uns von Ihm entfernten, in der Knechtschaft des karmischen Gesetzes von Ursache und Wirkung. Wenn wir leiden, und manchmal leiden wir schrecklich unter dem schweren Gewicht der angehäuften karmisehen Bürde, fühlen wir uns machtlos, aus dem magischen Labyrinth des Herrn dieses Universums herauszukommen, und rufen kläglich um Hilfe. Wenn Gottvater die Geschichte unserer Qual und Pein im Innern hört, ist Er bis in Seine Tiefen bewegt, hat Erbarmen angesichts dieser traurigen Lage und offenbart sich in Gestalt eines Heiligen, um uns zu sich zurückzuführen. Somit kommt Er, der uns vor undenklicher Zeit wegschickte, uns nun zurückzurufen. Was tut Er? Durch geeignete Unterweisung erinnert Er uns an unsere einstige Abstammung und gibt uns einen Schimmer von der rettenden Lebensschnur, mit der Gott jeden Menschen versehen hat Er verbindet den Geist damit und hilft uns den gordischen Knoten zwischen Körper und Seele allmählich zu lösen, bis wir vom ersteren befreit und fähig werden, zusammen mit ihm in seiner strahlenden Form (Divya Saroop) in höhere Ebenen zu reisen. Bedenkt, daß dies alles unter seiner Führung durch einen freiwilligen Prozeß der praktischen Selbstanalyse während des Lebens getan wird, ohne die Silberschnur völlig durchzureißen, was letztlich zur Zeit des Todes (oder der Auflösung des stofflichen Körpers) geschieht. Ein wahrer Heiliger ist das größte Geschenk Gottes, so wie Gott das größte Geschenk des Heiligen ist Es heißt: «Gott ist alle Weisheit, und wenn Er sich durch einen menschlichen Pol selbst offenbart, ist Er als Heiliger bekannt.»

Können wir Gott sehen? Dies ist die nächste Frage; und hier ist eine positive Antwort:

 

In der Gemeinschaft eines Heiligen
sieht man wahrlich den Herrn selbst

 

In den Evangelien lesen wir:

 

Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater.
Und niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater;
und niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn
und wem es der Sohn will offenbaren.

Matth. 11,27

Lukas 10,22

 

Nanak erklärt nachdrücklich:

 

«Der Gott Nanaks ist überall sichtbar.» Und Christus sagte in unmißverständlichen Worten: «Sehet den Herrn.» Guru Arjan tut uns kund: «Auf dem Wasser und zu Lande ist Er in Seiner Fülle.»

 

Er durchdringt fürwahr jede Faser sämtlicher Geschöpfe. So sieht Guru Arjan die sich unbegrenzt verbreitende Kraft Gottes ringsum vibrieren. Können auch wir sie sehen? Ja, wir können es ebenfalls, wenn wir ein Gurmukh werden (das heißt, indem wir den Anordnungen eines Gurus – eines gottverwirklichten Wesens – unbedingt folgen). Ist es dann möglich, Gott mit den zwei Augen zu sehen, die wir haben?

 

O Nanak, die Augen, die Gott sehen,
sind ganz verschieden von denen, die wir haben.

 

Den fleischlichen Augen ist es nur gegeben, die Dinge des Fleisches zu sehen, denn sterbliche Augen nehmen nur das wahr, was sterblich ist. Allein das innere Auge kann die Glorie des Herrn bezeugen. Es ist das «Divya Chakshu» der Hindu-Heiligen, das «Einfältige Auge» nach den Worten Christi und das «Nukta-i-Sweda» der gottergebenen Moslems. Gleich einem Augenarzt hilft ein Meister, das innere Auge zu öffnen, das jetzt geschlossen ist. Shamas-i-Tabrez, ein großer Heiliger, läßt uns wissen, daß er Tausenden, die von Geburt an blind waren, das Augenlicht gab. Was die Gott-Erfahrung angeht, so sind wir alle blind. Wir haben unser ganzes Leben lang in einschlägigen Büchern über Gott gelesen und von anderen über Gott gehört, aber nie eine persönliche Erfahrung vom Ihm gehabt. Dies zeigt, wie blind wir sind und wie wir verblendeten Sinnes dahinleben. Nanak erklärt sehr eindrucksvoll, was ein Blinder ist:

 

Nicht jene, die keine Augen im Gesicht haben,
sind blind, sondern zweifellos die,
welche sich Gott entfremdet haben.

 

Alle Gründer der verschiedenen Religionen in der Welt stimmen in diesem Punkt überein. Wir sind unabhängig von den Sinnesorganen mit einem Seh- und Hörvermögen ausgestattet, denn fehlerloses Wissen ist eine Tätigkeit der Seele. Diese ist jedoch seit Myriaden von Zeitaltern von der schweren Bürde des Gemüts und der Materie niedergedrückt und hatte nie Gelegenheit, das göttliche Licht und die himmlischen Weisen der inneren Musik zu beachten. Ein Meister-Heiliger hilft die karmische Last aufzuheben, wodurch er die Seele befreit, indem er sie allmählich der verschiedenen sie bedeckenden Koshas oder umhüllenden Schleier des vielfältig begrenzenden Beiwerks entledigt, bis sie, losgelöst von der Liebe zu allen geschaffenen Dingen, zu sich selbst findet und eine entkörperte Seele wird, die in ihrem eigenen Licht erstrahlt und Fähig ist, aus sich selbst unabhängig zu denken und zu handeln. Johannes vom Kreuz legt es kurz und bündig dar:

 

Darum kann die Seele der göttlichen
Vereinigung solange nicht innewerden,
bis sie sich der Liebe
zu den geschaffenen Dingen entledigt.

 

Die Mittel, diese Vereinigung herbeizuführen, sind das Licht Gottes und die Stimme Gottes. Gott ist aus sich selbst leuchtendes Licht (Swayam Jyoti Swaroop), der Vater allen Lichts, wie die Christen sagen, und das Noorun-ala-Noor (das Licht der Lichter) bei den Moslems. Man spricht von Ihm auch als dem Gesang der Seele, der Stimme der Stille, der Sphärenmusik, Shabd, Vak dem Wort oder Nad – was alles dasselbe bezeichnet Diese beiden rettenden Lebensströme sind in jedem Menschen. In ihnen leben wir, bewegen wir uns und haben wir wahrlich unser Sein, aber gleich dem sprichwörtlichen Fisch im Wasser wissen wir nicht, was das Wasser ist:

 

Gott ist in der Seele, und die Seele ist in Gott,
wie das Meer im Fisch und der Fisch im Meer.

 

Dies sind sodann die beiden Mittel, durch welche der Meister die Seele zu Gott führt: der Weg des Lichts (Jyoti Marg) und der Weg des Tons (Shruti Marg). Die großen Lehrer der ganzen Welt leiten ihre Anhänger auf diesen Wegen, die sich natürlich gegenseitig nicht ausschließen, sondern einander ergänzen - einer führt zum anderen. Sie kommen von Zeit zu Zeit, um uns zum Wohnsitz unseres Vaters zurückzubringen, wir aber sind wie die verlorenen Kinder mit anderen Dingen beschäftigt und laufen rastlos von Pontius zu Pilatus, ständig eine Beute aufkommender Winde und Wasser, dem stürmischen Meer des Lebens ausgesetzt, während unser reiches Erbgut im Himmel vernachlässigt bleibt. Soamiji sagt: «Eure Krone und euer Zepter liegen unbeachtet im Reich Gottes. » Auch Guru Nanak sagt:

 

O verbinde dich mit der glorreichen Musik der
Glückseligkeit,
und lebe auf ewig in die Gottheit vertieft.

 

Diese innere Musik ist Ausdruck der in jedem von uns wirkenden Gotteskraft. Durch Verbindung mit dem Wort können wir die Stätte erreichen, von der diese himmlischen Weisen ausgehen. Es ist die wahre Heimat der Seele, die gegenwärtig im irdischen Exil umherwandert, obwohl sich Gott, der Vater, auf unsere Heimkehr freut: «Kehre heim, o Freund! Geh zurück zu deiner eigentlichen Wohnstatt.»

Diese Musik kommt herab, uns heimzurufen, so daß wir künftig in Frieden und in der Fülle leben können.

Nun, da der Ruf ergangen ist, folgt ihm und begeht euch auf den Rückweg:

«Was will man mehr, wenn sich die Gottheit innen gezeigt hat? Deine Mühen sind zu Ende, sei ruhig wie der Polarstern.»

Wenn durch die Gnade des gütigen Meisters die Kraft Gottes im Inneren offenbart wurde, findet man zu sich und steht der Wirklichkeit gegenüber. Ihr habt dann nichts weiter zu tun. Die Kraft tut nunmehr alles für euch, und ihr stellt fest, daß ihr bloße Zuschauer in einem Spiel des Welttheaters seid. Ihr müßt euch mit dem heiligen Wort verbinden. Es wird euch nach und nach in eure ewige Heimat zurückführen. Dann gibt es keinen Abstieg mehr zur Erde, zumindest nicht als Gefangener, der die Strafe einer lebenslänglichen Haft unter dem zwingenden Druck der Karmas verbüßen muß, sondern mit einer göttlichen Weisung, um den Plan Gottes zu erfüllen:

 

Mit dem freudvollen Geläut der inneren Musik
wird der Herr selbst kommen, dich zu empfangen.

Gurbani

 

Wie wir in der äußeren Welt Trompeten und Trommeln spielen, um unserer Freude Ausdruck zu verleihen, so werden auch in der inneren Welt alle durch erhabene, seelenbelebende Weisen himmlischer Musik willkommen geheißen, wenn sie in der Begleitung des Gurudevs (der strahlenden Form des Gurus) dem Himmel entgegengehen. Wohin führt das alles? Wir werden nun zu der Quelle allen Lichts, des Vaters des Lichts, geführt, wo es nichts gibt außer dem ewigen Licht und der ewigen Musik, die ungeschaffen und unergründlich sind und doch die materielle und bewirkende Ursache aller geschaffenen Dinge und als solche wahrhaftig ein verbindendes Glied zwischen dem Schöpfer und Seiner Schöpfung, zwischen Himmel und Erde bilden. Naam ist alsdann der Name für die Kraft Gottes, die erste Offenbarung des Namenlosen, wie sie sich im heiligen Licht und dem heiligen Chor verkörpert. Dies ist der einzige Weg, der zu Gott führt. Wir mögen darüber soviel reden, wie wir wollen, aber bloße Philosophie wird uns nicht helfen, der Wahrheit näher zu kommen. Je mehr wir theoretisieren, desto weiter entfernen wir uns von der Wirklichkeit. Es ist die mystische Erfahrung innerhalb des Laboratoriums des Geistes, welche zählt, denn sie verbindet uns direkt mit der Gottheit, und diese Erfahrung kann uns mit der Hilfe und Gnade eines Menschen Gottes zuteil werden.

Eine kompetente Meisterseele kann, wenn sie es will, selbst ein Kind auf den Tonstrom einstimmen, der jung und alt, Gebildeten und Ungebildeten gleichermaßen dient. Jeder kann durch die Verbindung mit dem heiligen Wort Nutzen haben, unabhängig von Stand, Hautfarbe oder Glaubensbekenntnis, Alter, Geschlecht oder Beruf. Das ist bei anderen Yogaschulungen nicht möglich. Der Jnana-Yoga zum Beispiel erfordert einen hochentwickelten Verstand, und man muß im logischen Denken und Schlußfolgern sehr geübt sein. Wenn der Jnana-Yoga des Verstandes von Shankara bedarf, verlangt der Bhakti-Yoga das Herz des Buddha, der Karrna-Yoga die Fähigkeit eines Kriegers wie Prinz Arjuna. Bei all diesen Leistungen und schwierigen Praktiken bleibt man dennoch auf der Ebene der Dualität, und solange man außerstande ist, sich darüber zu erheben, kann man nicht einen Zustand der Einheit erreichen. In der heutigen Zeit wird Yoga lediglich mit Gesundheit, Kraft und Langlebigkeit in Verbindung gebracht. Der Surat Shabd-Yoga (der Yoga des Tonstroms) hat dagegen die höchste Vereinigung zum Ziel, die Vereinigung des Surat oder Seelenstroms mit Shabd oder dem Tonstrom, der durch einen Gottmenschen offenbart wird und somit beide in ewiger Gemeinschaft verbindet. Folglich ist dies der direkte Weg zu Gott. Ein wahrer Gottmensch kann diese wunderbare praktische Erfahrung beliebig vielen Menschen hei einer einzigen Meditationssitzung geben, ungeachtet ihrer verschiedenen religiösen Ansichten und Glaubensbekenntnisse, ihrer sozialen Lebensweise, ihres weltlichen Standes und jeder anderen Art von Beziehung. Dies alles bewirkt er allein durch die Übertragung seines eigenen Lebensimpulses. Wenn diese Saat einmal ins Herz eines Menschen gelegt wurde, muß sie einfach im Laufe der Zeit Frucht bringen, denn keine Macht der Erde kann sie vernichten:

 

Wer ist größer als Gott, um Seine Kraft
(einmal im Menschen offenbar geworden)
aufzuheben? Oh, niemand,

 

Wenn eine Meisterseele auf Erden erscheint, kommt mit ihr eine überwältigende Lawine der Spiritualität herab. Der Zweck ihres Herabkommens ist, wie ich erklärt habe, alle Kinder Gottes auf einer Ebene zu vereinen, der Ebene der Seele im Menschen, und sie dann zum Leben des Geistes zu erwecken, indem sie in ihnen das Licht und Leben Gottes enthüllt. Solche großen Seelen waren immer sehr selten, und es ist unser stolzer Vorzug, daß wir mit Hazoor verbunden wurden. Diese Seelen sind niemals durch physische und mentale Begrenzungen gebunden, auch wenn es anders scheinen mag. Ihre innere Kraft übersteigt alles, was von der Welt ist, denn sie kann willentlich auf jeder beliebigen Ebene wirken, sei es in Brahmand oder selbst jenseits davon in den rein spirituellen Reichen. Eine derartige Kraft ist grenzenlos und ewig. Sie stirbt nicht mit dem Tod des Körpers, sondern tut ihr Werk für immer und alle Zeiten, ganz gleich in wessen Gestalt und über welchen Pol. Er kann deshalb nicht lediglich als ein Mensch angesehen werden. Das Menschliche in ihm ist übermenschlich geworden, trotz der menschlichen Form, die er für die Menschen der Welt beibehält, denn der Lehrer des Menschen muß ein Mensch sein. Ohne seine Lehren und die praktische Führung hier und in den inneren Ebenen können wir nichts von Gott wissen, noch weniger Ihn erfahren, Ihn erkennen und eins mit Ihm sein. Daher besteht die größte Notwendigkeit darin, mit einem lebenden Meister in Verbindung zu kommen, wo immer er sein mag:

 

Der Geliebte an meiner Seite ist ein Schutzengel.
Er behütet mich in jedem Augenblick, hier und danach.

Gurbani

 

Er ist ein nie versagender Freund und kommt zu unserer Rettung, wo immer wir sein mögen, selbst wenn wir vor dem Großen Richter stehen, um Rechenschaft über unsere Taten abzulegen: «Dharam Raj muß den karmischen Abschluß zerreißen, o Nanak, wenn der Meister die karmische Rechnung ausgleicht.»

Wie ein Meister-Liquidator wickelt er ein für allemal unsere ganzen karmischen Schulden und Verbindlichkeiten ab, die von zahllosen Lebensläufen der Vergangenheit und aus dieser Lebensspanne herrühren und für künftige Zuteilungen in großen Mengen gespeichert sind. Es ist keine leichte Aufgabe, und nur eine Seele, die karmafrei Ist, kann eine solche Herkulesarbeit vollbringen, den Menschen Nehkarma oder frei von Karma zu machen. Einem kompetenten Meister zu begegnen ist wirklich ein großer Segen. Guru Amar Das, dem dritten in der Nachfolge von Guru Nanak, war es erst nach einer langen Suche von nicht weniger als siebzig Jahren möglich, mit einem Satguru (Guru Angad) in Verbindung zu kommen. Von dieser denkwürdigen Begegnung läßt er uns wissen: «Als ich müde wurde, zahllose Taten auszuführen, traf ich plötzlich meinen Meister.»

Wann und wie findet eine große Meisterseele ihren Weg zu uns, denn sie ist es, die uns zu Hilfe kommt; nicht wir, die Blinden, finden unseren Weg zu dem Erleuchteten:

 

Der Satguru liest uns auf, wenn die Zeit da ist,
und er stimmt unseren Geist auf das heilige Wort ab.

 

Die Verbindung mit dem Wort ist der höchste und natürlichste Weg zurück zu Gott Jeder, ob jung oder alt, Mann oder Frau, kann davon Vorteil haben. Aber wie? Die Antwort ist: Sei beständig, schwanke nicht, und verlasse dich auf die Worte des Gurus.

Jene, die den Meister lieben und seine Gebote halten, sind immer gesegnet, in dieser und der jenseitigen Welt: «Was immer der Guru sagt, halte ich in meinem herzen fest.»

Das ist der Grund, weshalb Christus seine Jünger ermahnte: «Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein. » Und ferner:

 

Bleibet in mir, und ich in euch. Gleichwie die
Rebe kann keine Frucht bringen von ihr selber,
sie bleibe denn am Weinstock, also auch ihr nicht,
ihr bleibet denn in mir.

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Wer in mir bleibt und ich in ihm,
der bringt viele Frucht,
denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch
bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt,
und es wird euch widerfahren.

So ihr meine Gebote haltet, so bleibet ihr in
meiner Liebe ...»

Joh. 15

 

Wir müssen lernen, zu praktizieren, was der Meister sagt, und danach leben, um den größten Vorteil aus seinen Lehren zu ziehen. Mein Meister bemerkte sehr häufig: «Was nützt eine Medizin, wenn wir sie nicht einnehmen?» Lassen wir sie im Schrank stehen, können wir die Krankheit nicht loswerden. Es mag sein, daß die Saat von Naam, sobald sie einmal gesät ist, nicht verdirbt und eine menschliche Geburt mit angemessenen Bedingungen für die Zukunft sichergestellt ist, doch lohnt es sich, für einen weiteren Lebenslauf wieder ins Gefängnis der Welt zu kommen? Warum dem nicht lieber für alle Zeiten ein Ende machen, als denselben Prozeß nochmals zu erleben:

 

Wer beim Satguru Zuflucht sucht, für den kommt
Gott selbst wieder, ihn zu erretten.

Gurbani

 

Der Mensch wird im allgemeinen als umgekehrter Baum beschrieben, denn seine Wurzeln sind oben im Augenbrennpunkt, dem Sitz der Seele, während sich seine Äste und Zweige nach unten in die Welt ausbreiten. Wie ein Baum seine Nahrung durch die Wurzeln aus dem Boden zieht, so nehmen unsere Wurzeln, die Seelenströme, ihre Nahrung für uns aus dem Tonstrom, der innen offenbart wird. Es ist also die Meisterseele, die uns mit dem Manna oder Brot des Lebens und dem Elixier oder Wasser des Lebens versorgt.

Indem er den Seelenstrom mit dem Tonstrom verbindet, stellt ein vollendeter Meister die Mittel bereit, durch welche der Geist seine Nahrung erhält, und hilft Gemüt und Körper unter genauer Kontrolle zu halten. Je mehr einer an dieser himmlischen Nahrung teilhat, desto mehr nimmt er an Stärke zu, bis er eine lebendige Seele wird, vollbewußt der in und um ihn wirkenden göttlichen Kraft.

Gelangt man in Gottes Reich, heißen einen die schon dort weilenden Seelen wirklich königlich willkommen. So arbeitet das Gesetz der göttlichen Vorsehung, und Gott erfüllt Seinen Plan. Wenn Er uns im eisernen Griff von Plagen, Nöten und Drangsalen ohne einen Weg, der über die gewaltigen Marksteine der Welt hinausführt, hilflos klagen sieht, wird Seine Barmherzigkeit bis ins Innerste gerührt; Er beschleunigt den Prozeß der Befreiung und enthüllt uns durch Seinen Erwählten die Wege, über die wir entkommen können. Nanak sagt: «Wer einen Satguru zur Seite hat, dessen Rechnungen werden hier und jetzt ausgeglichen.»

Das oben Gesagte ist völlig richtig. Doch wir nehmen die Dinge nur soweit an, wie es unserer Bequemlichkeit entspricht, und versuchen die Wahrheit geschickt zu verdrehen, weil wir sie nicht so sehen wollen, wie sie ist. Nur dann, wenn wir unsererseits dem Meister gegenüber unsere Pflicht erfüllen, indem wir unrechte Handlungen meiden, befreit er uns von den in vergangenen Zeiten angesammelten Sünden. Wir müssen deshalb lernen, standhaft zu sein und nicht zu wanken, ehe wir mit der inneren Reise, die vor uns liegt, beginnen können. Wenn immer jemand zu Lebzeiten Hazoors in der Versammlung aufstand, um eine Abweichung vom Pfad der Redlichkeit zu bekennen, pflegte er seine Hand zu heben und gnädig zu sagen: «Bis hierher und nicht weiter.» Er mahnte zur aufrichtigen Reue, was die Vergangenheit betraf, warnte vor künftigen Fehltritten und riet nachdrücklich zur Meditation (Verbindung mit dem heiligen Wort) als einzigem Universal-mittel für alles Übel des Lebens. Es ist vielleicht möglich, jemanden von dem Gilt, das schon genommen wurde und in den Magen gelangte, zu befreien vorausgesetzt, daß er keine weiteren Dosen davon nimmt Doch was tun wir? Wir jammern und klagen und winden uns vor Schmerzen, fahren aber dennoch fort, mehr und mehr des schädlichen Stoffes zu nehmen. – Mit solch einfachen Worten pflegte Hazoor alle Pflichtvergessenen zu ermahnen. Eine Meisterseele ist besorgter um ihre Jivas, als es eine Mutter um ihr Kind sein würde. Gleich einem Neugeborenen, wie wir es für den Meister sind, können wir kaum etwas von der liebevollen Fürsorge, die er uns zuteil werden läßt, wissen und noch viel weniger sie erkennen; auch nicht die Art, in der er uns bei jedem Schrift vor Schaden bewahrt und auf dem inneren spirituellen Pfad zum Reich Gottes leitet «Ungewöhnlich sind Seine Wege.» Nanak verherrlicht Ihn. Ist es nicht wirklich seltsam, daß Gott selbst uns in die Welt schickt und wiederum Er selbst (im Kleid eines Gottmenschen) kommt, uns zurückzuholen. Seine Größe übersteigt alles Begreifen:

 

O Nanak! Der Satguru öffnet das innere Auge.
Und man beginnt die Wahrheit
in sich selbst zu sehen.

 

Das ist also das Geheimnis der Gotterkenntnis. Es erfordert keine besonderen Eignungen. Es ist nicht notwendig, Herd und Heim zu verlassen. Lebt in der Welt inmitten eurer Freunde und Verwandten, verdient euren Lebensunterhalt ehrlich und helft ihnen. Neben dem üblichen Familienleben praktiziert das heilige Wort, wie es durch eine Meisterseele anempfohlen wurde. Ihr werdet mit der Zeit ein anderer Mensch werden – völlig verschieden von dem, was ihr wart, und selbst sehen, wie die Gotteskraft für euch arbeitet und alles für euch tut. Ihr werdet ganz und gar frei und furchtlos werden.

Wenn immer ein Meister-Heiliger in die Welt kommt, überschüttet er alle gleichermaßen mit seinen Segnungen. Wir, die wir hier sitzen, können kaum dem Ruhm Hazoors gerecht werden. Ein Gottmensch ist wie Gott selbst unfaßbar und unergründlich. In der Tat gesegnet sind jene, welche die günstige Gelegenheit hatten, ihn zu sehen und ihm zu begegnen, in direkte Verbindung mit ihm kamen und das Glück hatten, ihm angeschlossen zu sein.

Ein Gottesfürchtiger (Bettelmönch) kam einmal zum Propheten Mohammed. Weil der Prophet nicht zu Hause war, ging er enttäuscht wieder davon. Bei seiner Heimkehr fragte Mohammed seinen Diener, nachdem dieser ihm von dem Gottergebenen erzählt hatte, ob er ihn gesehen habe. Der Diener antwortete, es sei nur ein flüchtiger Blick gewesen, da ihm jener den Rücken zuwandte und wegging. Der Prophet beglückwünschte den Diener, einen solchen Weisen auch nur von hinten gesehen zu haben. – Das ist wirklich der Höhepunkt im Leben eines Menschen, der einem Gottesmann begegnet, ganz zu schweigen von jenen, die Hazoor von Angesicht zu Angesicht sahen, zu seinen Lotosfüßen saßen und von ihm inspiriert wurden. Wir müssen danach streben, würdige Kinder des würdigen Vaters zu werden, auf daß die Welt Ihn verherrlicht. Das kann nicht durch bloße Anerkennung geschehen, sondern indem man seinen Lehren folgt und nach ihnen lebt. Jeder Vater wünscht, daß ihn sein Sohn an Tapferkeit und Ansehen übertrifft. Aber wer kann den Gottmenschen übertreffen? Sollten wir ein Mensch des Gurus werden, reichte dies völlig aus. Was ich betonen möchte, ist, daß wir das Wort praktizieren und uns mit ihm, der lebendigen Offenbarung des lebendigen Gottes, die uns durch den Gott im Menschen (Hazoor) bekannt gemacht wurde, verbinden sollten.

Unermüdlich sagte uns Hazoor, daß der Pfad von Licht und Ton die Grundlage aller Religionen ist. Sokrates sprach von einem «ätherischen Ton», der ihn in eine wunderbare Welt bringe, von der er vorher überhaupt nichts gewußt habe. Goethe bezog sich auf den Gesang der Sphären. Pythagoras beschrieb es als «Licht und Musik aller Harmonien». In den Veden wird es Vakya und Jyoti genannt. Zoroaster entzündete die ewigen und immerwährenden Feuer und praktizierte Sarosha. Als Siddharta, der Prinz des Friedens, das Licht in sich sah, wurde er wahrlich der Erleuchtete, und die Buddhisten verehren bis heute die unbekannte und unerkennbare Kraft, die sie mit den Worten Aum Mani Padme Hum anbeten, was bedeutet, daß Aum wie ein Kronjuwel erstrahlt und einen Ton wie den fernen Donners von sich gibt.

Dies ist somit das Älteste, was uns durch die Zeiten hindurch überliefert wurde und sich bis in die eisgraue Vergangenheit zurückverfolgen läßt. Es ist die große Wahrheit, die uns Hazoor verkündet hat, wobei er mit einem Zwinkern in den Augen und einem Lächeln auf den Lippen immer hinzufügte: «Solltet ihr auf eurer Suche etwas Besseres als dieses finden, nehmt es bitte unter allen Umständen an und laßt mich ebenfalls davon wissen.» Aber trotz all unserer Bemühungen ist es uns bisher nicht gelungen, etwas Höheres zu finden; und unser ganzes Forschen auf dem Gebiet der Religion hat gezeigt, daß die offenbarte Wahrheit auf dem zweifachen Prinzip von Licht und Ton begründet ist. Was wird die Folge sein, wenn wir einem Meister der Wahrheit begegnen und der letztere geneigt sein sollte, unser Selbst mit seinem eigenen Lebensimpuls zu beleben? Dieses menschliche Leben wird seine Erfüllung finden. Wie begünstigt sind wir! Wir fanden einen solchen Meister, wir saßen zu seinen Füßen, er nahm uns an und segnete uns, indem er das heilige Wort in uns offenbarte und uns eine Verbindung mit dem hörbaren Lebensstrom gab.

Die erste und vordringlichste Aufgabe, die sich eine wirklich große Meisterseele stellt, ist, alle Kinder Gottes auf gemeinsamer Ebene zu vereinen, ganz gleich, welcher Religion sie Treue schulden.

Es war auf Geheiß von Hazoor, daß dieses Forum des Ruhani Satsang gegründet wurde. Es ist eine allgemeine Stätte der Begegnung für Menschen aller religiösen Gemeinschaften und unterschiedlicher Bekenntnisse. Er verwendet keine sektiererischen Zeichen und Symbole der einen oder anderen Religion. Er ist lediglich ein Übungsplatz, oder nennt ihn eine Schule der Spiritualität, wo Spiritualität ohne Unterschied von Mahatmas aller religiösen Richtungen gepredigt wird und man praktische Schritte unternimmt, um den riesigen Menschenversammlungen die moralischen und spirituellen Werte einzuprägen, welche die verschiedenartigen Glaubensanschauungen einschließen. Spiritualität bildet das reiche Erbgut der Menschheit, das zu alten Zeiten und in allen Ländern sehr begehrt ist; doch sie erscheint und verschwindet wie ein Strom, der sich durch das Dickicht des Zweifels, Argwohns und Mißtrauens windet, wie es die Menschen in ihrer Alltagswelt für gewöhnlich haben, welche voll zahlloser Ängste und Sorgen ist. Sobald wir dieses unschätzbare Erbe des Menschen aus den Augen verlieren und auf der Stufenleiter menschlicher Werte absinken, stellt Gott in Seiner unendlichen Barmherzigkeit die Mittel bereit, damit wir uns neu orientieren, indem Er Seine Gottheit mit Hilfe eines Menschen Seiner Wahl an einem Ort offenbart, den Er für den besten hält. Vor verhältnismäßig kurzer Zeit ließ Soamiji Maharaj diese uralte und halb vergessene Wissenschaft, die uns überliefert ist, neu aufblühen, und wir ziehen Nutzen daraus. Das verpflichtet natürlich, sich dieses großen Schatzhauses, das unser ist, würdig zu erweisen. Wir müssen danach streben, rein in unseren Gedanken zu sein, liebevoll und höflich in unseren Worten, gütig und sanft in unseren Taten, und vor allem müssen wir jeden Tag regelmäßig eine ausreichende Zeit der Praxis des heiligen Wortes widmen und uns dadurch für das Reich Gottes, welches in uns ist, rüsten.

Es ist Hazoors Gnade, daß er uns als sein Eigen annahm, uns mit dem Licht und der Stimme Gottes verband, indem er sie uns offenbarte; und wir sollten ihm jeden Augenblick unseres Lebens dankbar sein. Selbst ein Hausierer zählt seine Tageseinnahmen, wenn er am Abend heimkehrt. Gleichermaßen erstellt ein Ladenbesitzer etwa alle sechs Monate oder gar noch öfter eine Bilanz über Gewinn und Verlust Wir müssen sehen, wie es erst mit uns stand und wo wir jetzt stehen. Wenn wir besser sind als vorher, ist es recht; falls nicht, müssen wir uns nach den Gründen für das Zurückbleiben fragen. Bewahren wir wenigstens das Kapital, den Bestand, mit dem wir ausgestattet wurden: die Erfahrung des inneren Sehens und des inneren Hörens, welche er uns gab, oder haben wir durch unsere Nachlässigkeit, Achtlosigkeit und Ungeschicklichkeit alles ausnahmslos verloren? Diese ganzen Fragen bedürfen unserer ernsthaften Oberlegung. Wir müssen zusehen, wie wir die Erfahrung, mit der wir am ersten Tag begonnen haben, entwickeln und erweitern können. Wir müssen, wenn nötig, von einem fortgeschrittenen Glaubensbruder einen Auffrischungskurs haben, so daß alle Schwierigkeiten, die uns bedrängen, überwunden werden und wir imstande sind, vorwärts zu kommen. Die Enthüllung des heiligen Wortes ist ein unvergleichliches Geschenk des großen Meisters, und bedenkt, es wurde uns frei, uneingeschränkt und auf Vertrauen gegeben; man sollte es sich deshalb auf keinen Fall durch die Finger gleiten lassen, nur weil es uns im Sinne weltlicher Zahlungsmittel nichts gekostet hat.

Ich erinnere mich, daß einmal einige Amerikaner an Hazoor schrieben, sie wären durchaus bereit und gewillt, ihren irdischen Besitz, den sie in Fülle hätten, für einen Teil seines spirituellen Reichtums einzutauschen. Wißt ihr, was er ihnen antwortete? Er sagte, daß er ihres weltlichen Besitzes nicht bedürfe, da er den göttlichen Reichtum von Naam im Überfluß habe, wie auch alle anderen freien Gaben Gottes – Licht, Luft und Wasser. Er sei hier, seine spirituellen Schätze mit allen Kindern Gottes, wo immer sie sich befänden, zu teilen. Solche hohen Seelen werden mit einem Auftrag von Gott in die Welt gesandt, um die Menschen an ihr längst vergessenes Erbe zu erinnern, von dem wir uns wegen der rauchgeschwärzten Brille vor unseren Augen kaum eine Vorstellung machen können. Sie kommen zu keinem anderen Zweck, als nach den verlorenen Schafen zu suchen, den moralisch und spirituell Kranken, damit er sie in die Herde zurückführt.

So laßt uns ihm – dem großen Meister, der uns schon auf den Pfad gestellt hat und auch noch weitere auf ihn stellt, unseren tiefen Dank sagen. Es ist einzig seine Gnade, daß er von den inneren spirituellen Ebenen aus nach uns sieht und immer bereit ist, seine strahlende Form im Inneren zu offenbaren, wenn wir nur nach innen gehen und uns ihm zuwenden. Er erwartet uns sehnlich am Augenbrennpunkt, um uns mit mannigfachen Segnungen zu überschütten. Wir sollten auf allerbeste Weise danach streben, unseren Teil zu tun, damit wir ihn erreichen und es ihm möglich machen, uns nach oben zuziehen und in unsere ewige Heimat zu bringen.

 

 

 


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